Nach Pisastudie Debatte: Lesen muss in Familie und Schule wieder wichtiger werden
Berlin · Die Pisa-Studie hat gezeigt: Die Begeisterung fürs Lesen ist bei Jugendlichen nicht besonders groß und viele haben Probleme, Texte überhaupt zu verstehen. Lesen muss in den Familien und in der Schule wieder einen größeren Stellenwert bekommen, wird nun gefordert.
Nach den ernüchternden Ergebnissen des Schulleistungsvergleichs Pisa zur Lesekompetenz und Lesefreude deutscher Schüler werden Forderungen nach mehr Anstrengungen in Schule und Familie laut. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) rief Eltern dazu auf, ihren Kindern mehr vorzulesen. Der Deutsche Philologenverband (DPhV) forderte eine Pflicht, im Deutschunterricht ganze Bücher zu lesen.
Die Pisa-Studie hatte im Bereich Lesen einige besorgniserregende Befunde hervorgebracht: Jeder zweite Jugendliche liest nur, wenn es sein muss. Jeder Dritte sagt, Lesen sei Zeitverschwendung. Zudem kam heraus, dass jeder fünfte 15-Jährige in Deutschland Texte nicht sinnverstehend lesen kann.
Früh vorlesen
„Eltern sollten ihren Kindern schon früh vermitteln, dass Lesen und Bücher zum Leben gehören und das Leben bereichern“, sagte Karliczek der Deutschen Presse-Agentur. „Das beginnt damit, dass Eltern, aber auch vielleicht die Omas und Opas, den Kindern möglichst früh vorlesen. Am besten jeden Abend vor dem Schlafengehen.“ Das stärke auch die Beziehung zu den Kindern. Gerade die Weihnachtszeit bietet sich nach Ansicht der Ministerin zum gemeinsamen Lesen in den Familien an.
In einem hoch entwickelten Land wie Deutschland müsse jeder gut lesen können, um in der Gesellschaft und im Arbeitsleben gut zurechtzukommen, so Karliczek. „Lesen und Vorlesen sollten insgesamt einen ganz neuen Stellenwert bekommen.“ Nach Ansicht der Bildungsministerin geht es im Smartphone-Zeitalter mit vielen schnellen Informationen vor allem um „vertieftes Lesen“. Nur darüber erschließe man sich komplexe Sachverhalte.
Sprachprüfungen ab vier Jahre
Neben dem Elternhaus sieht Karliczek auch die Bildungsinstitutionen in der Pflicht, um Sprach- und damit auch Lesekompetenzen zu verbessern. Mit Blick auf die unbefriedigenden Lese-Ergebnisse der Pisa-Studie sagte sie: „Wir müssen alle versuchen, das zu ändern – die Eltern, die Schule, wir alle.“ Die CDU-Politikerin ist zum Beispiel für verbindliche Sprachprüfungen in den Kitas im Alter von vier Jahren. Dann sei genug Zeit, die Kinder bis zum Beginn der Schule zu fördern.
Der Deutsche Philologenverband (DPhV) betonte die Wichtigkeit intensiver Lektüre auch im Unterricht. In manchen Bundesländern sei das Lesen ganzer Bücher gar nicht mehr vorgeschrieben, sagte die DPhV-Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing der dpa. Das gelte beispielsweise für Thüringen, Niedersachsen und auch für Bremen ab der achten Klasse. Viele Schulen und Lehrer würden sich dann zwar in Eigenregie trotzdem dafür entscheiden. Aber: „Wenn Lehrkräfte sich dafür rechtfertigen müssen, dass sie von Schülerinnen und Schüler verlangen, sich durch eine (klassische) Lektüre zu arbeiten, weist das auf ein gesellschaftliches Problem hin.“ Der DPhV vertritt vor allem die Interessen der Gymnasiallehrer.
Klassiker gehören zur Allegemeinbildung
Das Lesen von sogenannten Ganzschriften sei wichtig, weil Leser sich dabei „gründlich und vertieft auch in andere Charaktere und Lebenswelten hineindenken und hineinfühlen“. Dadurch würden sie auch dazu animiert, gründlich und vertieft über sich selbst nachzudenken. „Allgemeinbildung beruht auch auf dem Lesen von ausgewählten Klassikern“, sagte Lin-Klitzing. Sie plädierte für mehr Verbindlichkeit: „Im Deutschunterricht sollte die Lektüre von Ganzschriften in jedem Schuljahr in der Mittel- und Oberstufe verpflichtend sein.“ Zu den Ergebnissen der Pisa-Studie sagte die Verbandsvorsitzende, sie teile zwar die „Katastrophenstimmung“ nicht, „aber dass ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler nach wie vor zur Risikogruppe gehört und nicht vernünftig lesen kann, muss uns weiter beunruhigen“.