Der Staat wird zum Wirtschaftslenker
„Mehr Freiheit wagen“ – das war einmal. Kanzlerin Merkel ist zur Patriarchin einer halbstaatlichen Deutschland AG geworden. Sie wollte nicht, sie wurde getrieben.
Berlin. Eines stand schon vor der Schlussberatung der Koalitionäre fest: Der Staat wird mit dem neuen Milliarden-Konjunkturpaket so viel Einfluss auf die Wirtschaft haben wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik. So viel, dass sich ein hoher Unionsmann vor der Sitzung des Koalitionsausschusses Dienstagabend besorgt fragte: "Wer schützt uns vor den Rettern?"
Erstmals werden in diesem Jahr die Bundesausgaben die Marke von 300 Milliarden Euro überschreiten - zum Preis einer gigantischen Verschuldung. Die staatliche Investitionsquote dürfte im Vergleich zu den privaten Vorhaben ebenfalls Rekordniveau erreichen, erwarten Finanzexperten in den Fraktionen. Bund und Länder werden mit dem Rettungsschirm für Unternehmen zu einer Art Generalbürgen der deutschen Wirtschaft.
Notfalls könnten Bund und Länder künftig sogar nach dem Vorbild der Staatsbeteiligung an der Commerzbank in angeschlagene Firmen einsteigen. Die einstige kühne Reformerin Angela Merkel, die vor drei Jahren in ihrer ersten Regierungserklärung "mehr Freiheit wagen" wollte, ist in den vergangenen Monaten als Kanzlerin zur Patriarchin einer neuen halbstaatlichen Deutschland AG geworden.
Manch einem Christdemokraten ist zuletzt angesichts dieser Entwicklung leicht schummerig geworden. Kurz vor der Koalitions-Schlussrunde schlug der Wirtschaftsrat Alarm und warnte vor einer direkten Staatsbeteiligung. "Der Staat hat weder Qualifikationen als Banker noch Qualifikationen als Unternehmer", sagte sein Präsident Kurt Lauk.
Dass eine Staatsbeteiligung an Unternehmen ein ordnungspolitischer Sündenfall für die Union ist, war natürlich auch Merkel vor der Klausurtagung des CDU-Vorstands am vergangenen Wochenende bewusst. Sie widersetzte sich in Erfurt dennoch nicht dem Drängen des NRW-Ministerpräsidenten und selbsternannten "Arbeiterführers" Jürgen Rüttgers.
Er hatte massiv darauf gedrungen, diese letzte Notmaßnahme offen zu lassen. Die Parteivorsitzende schloss dann auch einen Staatseinstieg ausdrücklich nicht aus. Rüttgers reiste zufrieden nach Düsseldorf.
Bis auf die Linke haben die Parteien ihr Verständnis vom Verhältnis Staat und Wirtschaft neu justiert. Besonders Merkel vertrat 2003 vor dem Reform-Parteitag in Leipzig noch ganz andere Rezepte, um den ihrer Meinung nach notwendigen "Wandel zu gestalten". Der Einzelne sollte mehr in Verantwortung genommen werden, keineswegs der Staat, wie jetzt in der Krise.
Aber schon in ihrer Kanzlerschaft setzte Merkel nach und nach die Akzente anders. Der Staat müsse befähigt sein, seine Aufgaben für die Zukunftsvorsorge des Landes wahrzunehmen, lautete ihre Formel. Bildung und Forschung sollten in der "Bildungsrepublik Deutschland" Priorität genießen. Mit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise verschob die Kanzlerin erneut die Gewichte. Der Staat wurde zum Bewahrer der Stabilität, zum letzten Retter in der Not. Sie wurde in den Augen manches Beobachters zur "Staatskapitalistin wider Willen".
Doch nicht wenige fragen sich: Geht die Kanzlerin nun zu weit? Sogar die SPD warnte vor einem Staatseinstieg in Unternehmen. Die Grundphilosophie ihrer Vorschläge ist aber ebenso: Nur der Staat kann es derzeit richten.