Die letzte Hoffnung der SPD
Hannelore Kraft will als erste Frau Ministerpräsidentin von NRW werden. Sie setzt auf ein authentisches, soziales Image.
Gelsenkirchen. Politik ist auch harte Arbeit. Zumal, wenn man Ministerpräsidentin des wichtigsten Bundeslandes werden will, für die SPD antritt, noch vor drei Monaten als chancenlos galt und Straßenwahlkampf in der Gelsenkirchener Fußgängerzone macht. Hannelore Kraft versucht, vor einem leerstehenden Kaufhauskomplex Werbebroschüren an den Mann und die Frau zu bringen.
Ein mühseliges Geschäft. Geschlossene Ladenlokale, krakeelende Betrunkene, desinteressierte Passanten, aber auch immer mal wieder aufblitzendes Interesse. "Ich drücke Ihr die Daumen. Ich habe eigentlich oft CDU gewählt, aber Frau Kraft gefällt mir", sagt Alois Liscutin, Unternehmer im Ruhestand.
Dieser Wahlkampf mitten im Frühjahr hat tatsächlich eine lange Jahre gedemütigte Partei und eine scheinbar aussichtslose Kandidatur zum Leben erweckt. Noch vor vier Monaten haben auch SPD-Funktionäre nicht an eine realistische Machtoption geglaubt.
Etliche Koalitionsstreitigkeiten in Berlin und einige Pannen des Ministerpräsidenten später wirkt es nicht mehr wie das Pfeifen im dunklen Wald, wenn Kraft Passantinnen auf der Gelsenkirchener Bahnhofstraße sagt: "Ich will und werde Jürgen Rüttgers am 9. Mai ablösen."
Überhaupt die Frauen. Die machen gerne Wahlkampf für "unsere Hannelore", wie die Frau am Parteistand auf dem Dortmunder Markt sagt. Hannelore Kraft aus Mülheim, die gerade auf ihren Touren durchs Ruhrgebiet aus ihrem Ruhrdialekt einen Kult macht, "dat" und "wat" häufig einflicht, wird dort als Frau auf Augenhöhe mit dem Wähler verstanden. "Sie macht das gut, die kann sich durchsetzen", so eine Passantin in Gelsenkirchen.
In Dortmund, der einstigen Herzkammer der Sozialdemokratie, hat sich ein Netzwerk von Künstlerinnen für Kraft engagiert. Sie sagen den rund 1200 Zuhörern bei der Veranstaltung auf dem Markt auch, warum: "Sie ist echt." Rudolf Dreßler, Sozialpolitiker mit mehr als zehn Jahren im Schmollwinkel, sagt es in Dortmund auf seine Art: "Hannelore Kraft ist authentisch. Deshalb muss sie gewinnen."
Viel Lob also von einem, der als SPD-Urgestein gelten kann, für eine, die Seiteneinsteigerin ist und noch vor fünf Jahren von vielen in der Partei belächelt wurde. Kraft (48) ist erst seit 1994 SPD-Mitglied, wäre in den guten, alten SPD-Zeiten damit noch ein Küken. Doch die Zeiten für die SPD sind nicht normal.
Deshalb ist Kraft Chefin des immer noch größten Landesverbandes der Sozialdemokraten und so etwas wie eine der letzten Hoffnungen der Genossen. Nur ein ordentliches Ergebnis in NRW verleiht auch der Amtszeit von Bundesparteichef Sigmar Gabriel so etwas wie eine machtpolitische Phantasie.
Kraft stammt aus einem Arbeiterhaushalt - ein Fakt, den sie in ihren Reden zunehmend häufig betont. Sie ging gleichwohl zum Gymnasium, schaffte das Abitur und wurde Diplom-Ökonomin. So etwas wie ein Paradebeispiel der Generation von Arbeiterkindern, der durch die sozialliberalen Bildungsreformen der 70er Jahre eine akademische Karriere ermöglicht wurde. Ihren Mann und ihren 17-jährigen Sohn, nach eigenem Bekunden die Ankerpunkte ihres Lebens, hält sie vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen.
Kraft ist weder rechts noch links. Sie erhält heute noch Lob von SPD-Aussteiger Wolfgang Clement ebenso wie von Dreßler, den sie durch diskrete Telefongespräche in der SPD gehalten hat, als der kurz vor dem Übertritt zur Linkspartei stand.
Die Linkspartei: Das ist Krafts weicher Punkt. Sie hat sorgfältig beobachtet, wie blind und plump dereinst Andrea Ypsilanti in die selbstgestellte Falle ging und der hessischen SPD jede Machtperspektive nahm. Diesen Fehler will sie nicht wiederholen und vermeidet bis heute jede harte Absage für ein mögliches rot-grün-rotes Bündnis. Da hatten auch Vertraute in der Partei darauf gesetzt, dass sie jetzt in der Endphase der Partei die Dinge klarstellt, um der CDU Wind aus den Segeln zu nehmen.
Doch Kraft hat ihren eigenen Kopf, hört politisch nur auf den Rat von einem kleinen Vertrautenkreis. Ihr manchmal übergroßes Selbstbewusstsein hat sich früher auch negativ ausgedrückt: Wenn sie etwa bei Gesprächen mit Unternehmensführern immer wieder einwarf: "Kenne ich, weiß ich, habe ich auch schon erlebt." Doch diese Zeiten sind vorbei, Kraft hat sich auf eine ganz bestimmte Rolle konzentriert: die der ehrlichen Frau mit sozialem Gewissen, als Kümmerin.
In Gelsenkirchen und Dortmund haben ihr das viele abgenommen. Ob das auch auch landesweit reicht, entscheidet sich am 9. Mai.