Die unbezahlte Tschernobyl-Rechnung

Der Atomreaktor braucht dringend eine neue Schutzhülle. Doch ohne neues Geld droht bald ein Baustopp.

Die unbezahlte Tschernobyl-Rechnung
Foto: dpa

Drei Tage herrschte Rätselraten. Im finnischen Tampere wurde eine sechsfache Erhöhung der üblichen Strahlungsmenge gemessen. Am 29. April um 16.08 Uhr ging dann eine Eil-Meldung über die Ticker: „Der Reaktorkern in dem sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl bei Kiew ist nach bisherigen in Bonn vorliegenden Erkenntnissen aus noch ungeklärter Ursache durchgeschmolzen. Ein solches Unglück wird in der nuklearen Sicherheitsterminologie als ein Super-Gau bezeichnet.“

Die unbezahlte Tschernobyl-Rechnung
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1986 war das, mehr als 28 Jahre ist das her. Auf mehr als 180 Milliarden US-Dollar schätzen Experten den Gesamtschaden. Über die Toten gehen die Meinungen auseinander. Insgesamt könnte es am Ende bis zu 4000 Opfer geben, meint die Internationale Atomenergiebehörde, andere Schätzungen gehen von bis zu 100 000 aus.

Erledigt ist die Katastrophe noch lange nicht. Aber in der Krise mit Russland hat die Ukraine gerade andere Probleme. Die Regierung will sogar eine Mauer zu Russland bauen. Berlin dürfte schon aus historischen Gründen für das Projekt kein Geld geben. Der Bundesregierung als Inhaber der G7-Präsidentschaft kommt aber bei einem anderen Bauwerk eine Schlüsselrolle zu: dem sogenannten sicheren Einschluss des Katastrophenreaktors in Tschernobyl.

Denn es fehlen nach Angaben aus Regierungskreisen 615 Millionen Euro. Ohne frisches Geld muss der Bau einer dringend notwendigen Schutzanlage über den havarierten Block 4 abgebrochen werden. Die Osthälfte ist schon errichtet, die zweite Hälfte ist im Bau. Die gigantische Stahlhülle soll den maroden Reaktor überwölben, damit keine weitere hoch radioaktive Strahlung nach außen dringt. Denn der notdürftig errichtete Betonschutz ist brüchig. Mit einer Fläche von 42 000 Quadratmetern wäre das Bauwerk fast dreimal so groß wie der Petersdom. Es soll mehr als 100 Meter hoch und 165 Meter lang werden.

Beim G7-Gipfel Anfang Juni in Brüssel mahnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU): „Uns ist bewusst, wie komplex diese neuartigen Projekte sind, und wir appellieren an alle beteiligten Parteien, eine zusätzliche Anstrengung zu unternehmen, um sie zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen.“ Schon 1997 hatten die G7-Staaten der Ukraine Unterstützung beim Bau des Sarkophags zugesagt, es wurde der „Chernobyl Shelter Fund“ eingerichtet. Deutschland hat mehr als 80 Millionen Euro eingezahlt.

Das Bundesfinanzministerium betont: „Im Bundeshaushalt 2014 und im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2015 sind hierfür jeweils 7,65 Millionen Euro vorgesehen.“ Aber das ist nicht genug, wie eingeräumt wird. Mit der Projektabwicklung beauftragt ist die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), sie pocht auf weitere Finanzzusagen. Mitte Oktober soll bei einer Sitzung der G7-Gruppe der Knoten eigentlich durchschlagen werden. Während die USA, Deutschland, Kanada, Italien und die EU-Kommission mehr Geld geben wollen, halten sich Japan, Frankreich und Großbritannien bedeckt.

Für die Umweltschützer von Greenpeace ist das Gefeilsche skandalös. Auch wenn der Bau der Schutzhülle vollendet werden sollte, sei das nicht das Ende. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass dadurch das Tschernobyl-Problem erledigt ist“, sagt Atomexperte Tobias Münchmeyer. annette.ludwig@wz-plus.de