Die Wirtschaftskrise krempelt Island um
Analyse: Nach 65Jahren verliert das bürgerliche Lager die Macht. Das Land will nun sogar in die EU.
Reykjavik. Der Total-Kollaps von Islands Banken hat am Wochenende zwei bisher als unerschütterlich geltende Grundpfeiler der Inselrepublik zum Einsturz gebracht. Seit der staatlichen Unabhängigkeit von Dänemark 1944 galt eigentlich immer als klar und unanfechtbar, dass die Konservativen die dominierende Kraft auf der stürmischen Atlantikinsel sind. Und fast ebenso klar schien bis jetzt, dass die Sturm erprobten Isländer ihren gewaltigen Fischreichtum für sich behalten wollen und deshalb nie und nimmer der EU beitreten.
Bei den vorzeitigen Wahlen im Gefolge des Finanzkrisen-Orkans haben die Bürger jetzt die bis dahin regierende Unabhängigkeitspartei für den Zusammenbruch des Banksektors abgestraft: Die Partei des über zwei Jahrzehnte als Regierungschef und am Ende als Nationalbankdirektor selbstherrlich waltenden Davíd Oddsson verlor ein Drittel ihrer Wählerschaft.
Die sozialdemokratische Wahlsiegerin Jóhanna Sigurdar-dóttir gewann nach Meinung von Beobachtern auch deshalb, weil ihre Partei schon vor dem Finanz-Kollaps im Herbst für einen Beitritt der Inselrepublik zur EU eingetreten ist. Der freie Fall der kleinen Landeswährung und nicht mehr bezahlbare Haus- oder Autokredite haben vielen Isländern in der Zwischenzeit schmerzhaft vor Augen geführt, dass ihr kleines Land mit gerade mal 320 000 Einwohnern in Zeiten der Globalisierung ohne festes Netzwerk nicht überleben kann.
Sigurdardóttir bemühte sich im Wahlkampf, Optimismus unter ihren von Schulden, Arbeitslosigkeit, Rentenkürzungen und existenzieller Unsicherheit geplagten Landsleuten zu verbreiten. "Unsere Zeit ist gekommen", rief sie in der Wahlnacht aus, erklärte einen EU-Beitritt binnen vier Jahren für möglich und verwies immer wieder auf die robuste Grundstruktur der isländischen Volkswirtschaft.
Aber sie blieb vage: "Vor allem geht es jetzt darum, neues Vertrauen aufzubauen." Für Haushalte und Gewerbetreibende könnte das bedeuten, dass Regierung und Nationalbank in Reykjavik schleunigst für eine Senkung der mit 15,5 Prozent extrem hohen Leitzinsen sorgen würden und die zweistellige Preissteigerungsrate senken könnten.
Beides aber liegt nicht in der Macht der Links-Regierung. Um grünes Licht für Zinssenkungen hat Sigurdardóttir seit ihrem Antritt vor zweieinhalb Monaten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) vergeblich gebettelt, der Island mit 1,6Milliarden Euro vor der Staatspleite bewahrt hat.
Für den angestrebten schnellen Gang nach Brüssel muss sie zunächst ihre Koalitionspartner von den Linksgrünen überzeugen, die bisher strikt gegen eine EU-Mitgliedschaft sind. Ganz zu schweigen von der Frage, ob die Europäische Union derzeit überhaupt an weiteren neuen Mitgliedern interessiert ist.