Politik Ein starker Auftritt von Lammert

Bundestagspräsident Norbert Lammert attackiert den türkischen Präsidenten Erdogan - selbst die Kanzlerin klatscht.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (l, CDU) spricht am 09.06.2016 in Berlin zu Beginn der Sitzung des Bundestages neben dem Abgeordneten Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen) zur verabschiedeten Armenien-Resolution.

Foto: Kay Nietfeld

Berlin. Im Bundestag ist an diesem Morgen etwas Außergewöhnliches zu beobachten: Auch die Minister und Staatssekretäre auf der Kabinettsbank applaudieren. Das ist unüblich. Doch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat soeben mit klaren und harten Worten die türkischstämmigen Abgeordneten erneut gegen Angriffe und Drohungen verteidigt. Angela Merkel klatscht ebenfalls. Ausgerechnet sie.

"Vielen Dank", flüstert der Abgeordnete Özcan Mutlu Lammert zu, der als Schriftführer neben dem Parlamentspräsidenten sitzt. Mutlu gehört zu denen, die in den letzten Tagen massiv bedroht worden sind. Ausgelöst wurden die Attacken durch die vor einer Woche verabschiedete Armenien-Resolution des Bundestages, in dem die Massaker an den Armeniern im Jahr 1915 durch die Türken als Völkermord bezeichnet wird. Vor allem aber durch den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seitdem gegen die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten wettert: Sie seien der verlängerte Arm der Terroristen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Außerdem zweifelte Erdogan deren türkische Herkunft an und forderte sogar einen Bluttest. Deutschland warf er mangelnde Aufarbeitung des Holocaust vor.

Betroffene Parlamentarier wie Grünen-Chef Cem Özdemir stehen mittlerweile unter Polizeischutz, weil sie Morddrohungen von türkischen Nationalisten erhalten haben. Lammert reagiert auf die Anfeindungen mit scharfen Worten, woraufhin eine von den Linken beantragte Aktuelle Stunde einvernehmlich wieder von der Tagesordnung genommen wird. "Jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen, er greift das ganze Parlament an", betont Lammert. Die zum Teil hasserfüllten Schmähungen seien leider auch durch Äußerungen hochrangiger türkischer Politiker befördert worden. "Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten", zeigt sich der Bundestagspräsident entsetzt.

Dafür gibt es Beifall vom gesamten Hohen Haus, auch von Merkel. Die Kanzlerin freilich hat sich bisher zurückgehalten mit Kritik an Erdogan. Dessen Äußerungen seien nicht nachvollziehbar, hat sie lediglich kommentiert. Für viele ist diese Einlassung und Merkels Applaus für Lammert zu wenig. Sie sei in Wahrheit abgetaucht, lautet der Vorwurf. Wegen des Flüchtlingsdeals schone sie den türkischen Präsidenten. Selbst aus den eigenen Reihen ist zu hören, die Kanzlerin und die Bundesregierung müssten endlich deutlicher werden und sich vor das Parlament stellen. Gemeint ist damit aber auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er ist in der Causa Erdogan ebenfalls seltsam still.

Da ist Lammert ganz anders. Schon vor einer Woche geißelte er zu Beginn der Armenien-Debatte die verbalen Angriffe auf Parlamentarier und Bundestag. Als Präsident ist es freilich seine Aufgabe, sich schützend vor die Abgeordneten zu stellen. Lammert ist aber auch jemand mit Ecken und Kanten. Wenn dem durchaus eitlen 67-Jährigen etwas politisch nicht passt, mischt er sich ein - nicht selten zum Leidwesen seiner Parteifreunde. Seine Reden sind geschliffen. Und seit Bundespräsident Joachim Gauck erklärt hat, er werde nicht mehr für das Amt kandidieren, fällt auch der Name des gebürtigen Bochumers für die potentielle Nachfolge. Sein starker Auftritt gestern hinterlässt jedenfalls erneut Eindruck - und zwar bei allen Fraktionen.

Am Dienstag hat der CDU-Politiker übrigens selbst eine bemerkenswerte Bemerkung zur Kandidatenfindung gemacht, als er vom Brauer-Bund als neuer "Bierbotschafter" gekürt wird. Das sei "nicht das erste, aber das letzte bedeutende Amt meiner Laufbahn, das ich freiwillig annehme", kommentiert er die Wahl. Für seinen Hang zu feiner Ironie ist Lammert ebenfalls bekannt.