Gotteslob in Lederhosen
München. 17.30 Uhr. Auf der Theresienwiese im Herzen von München wird der 2. Ökumenische Kirchentag eröffnet. Uns spuckt derweil der Reisebus an einer unwirtlichen Hauptverkehrsstraße am Westpark in Sendling aus.
Neun Stunden Busfahrt und mehrere Staus hinter uns, der Kirchentag - noch weit weg. Wenigstens begrüßt uns die Abendzeitung mit einem freundlichen "Grüß Gott" auf der Titelseite.
Als wir wenig später in unserem Quartierviertel aus der U-Bahn steigen, Jugend in Lederhosen und Dirndln, wohin man blickt. Aha, so sehen also krachlederne Christenmenschen aus. Nein, falsch gedacht. Im Zelt vor der Station beginnt ein ganz profanes Volksfest. Immerhin lernen wir: Auch Lederhosen kann man jugendlich-lässig nur das halbe Gesäß bedeckend tragen.Aber dann, am Marienplatz, doch das erwartete Gotteslob in Lederhosen.
Auf der Hauptbühne vor historischer Kulisse tanzt - eine Trachtengruppe. Durch die Straßen ziehen - Blaskapellen. Die bayrische Hauptstadt zeigt der bunten Christenschar aus der gesamten Republik, was man von ihr erwartet.Und die Farbe des Kirchentags ist schon ausgemacht: orange die Flaggen, orange auch die identitätsstiftenden Schals, an deren Erwerb kaum einer der Besucher vorbeikommt.
Am traditionellen Abend der Begegnung kommen sich die Gäste näher. Das ist durchaus wörtlich gemeint: Wenn Zehntausende vom Marienplatz zum Isartor drängen, ist körperliche Nähe unvermeidlich. Und das Geruchsgemisch der Essensstände ist mindestens so vielfältig wie der Klangteppich, der sich über das Treiben legt: Hier intoniert ein Posaunenchor "Lobe den Herrn, meine Seele", dort bahnt sich eine urgewaltige Tuba mit ihrem Spielmannszug einen Weg durch das Getümmel, da hinten müht sich eine elektrisch verstärkte Sangestruppe, ihre gut gemeinten Texte unters Volk zu bringen.
Kirchliche und gesellschaftliche Probleme sind morgen dran, heute wird gefeiert. Wenn da nicht doch dieser eine wackere Mahner wäre: "Jesus rettet - Kirchen verführen". Zumindest für ein Fotomotiv muss er immer wieder herhalten.