Nach den Protesten Grüne Ophelia Nick: „Die Bauern haben zu Recht protestiert“

Interview · Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ophelia Nick über die Einsparversuche der Bundesregierung auf dem Sektor Landwirtschaft, die Fehler der Grünen und einen neuen Weg für die Bauern.

Bauern-Proteste auf der Straße des 17. Juni in Berlin.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Frau Nick, wie ist die Ampel in der Bundesregierung dazu gekommen, zuerst bei den Bauern anzusetzen, wenn es um die erzwungenen Einsparungen im Haushalt geht?

Ophelia Nick: In dieser schwierigen Haushaltslage musste in allen Bereichen gespart werden. Der Beitrag der Landwirtschaft war überproportional, das habe ich sofort gesehen, genau wie Bundesminister Cem Özdemir. Deswegen haben wir uns für eine deutliche Reduzierung der Belastung eingesetzt – und das ist uns auch gelungen.  Das grüne Nummernschild bleibt und die Agrardiesel-Beihilfe wird lediglich Schritt für Schritt über drei Jahre abgeschmolzen.

Hat die Bundesregierung die Schlagkraft der Bauern unterschätzt? Oder geht die Interpretation anders und die Bundesregierung viel zu schnell eingeknickt?

Ophelia Nick, Bundestagsabgeordnete der Grünen

Foto: IMAGO/Future Image/IMAGO/Dwi Anoraganingrum

Nick: Die Entscheidung war einfach falsch. Und es ist keine Schande, einen Fehler anzuerkennen und zu sagen, das ändern wir jetzt nochmal. Schon im Sommer hat Bundesminister Cem Özdemir ausdrücklich davor gewarnt, die Landwirtschaft deutlich mehr als andere zu belasten. Landwirtinnen und Landwirte sorgen für volle Regale und volle Teller. Es ist harte Arbeit mit oft schwierigen Wetterkonstellationen und schwankenden Einkommen. Das wird aber oft nicht genug honoriert.

Also verstehen Sie die Proteste in jeder Form?

Nick: Einige sind bei den Protesten jedoch übers Ziel hinausgeschossen, und das lehne ich entschieden ab. Aufrufe zu Gewalt und Umsturzfantasien haben bei uns in Deutschland nichts zu suchen. Ich bin dankbar, dass viele Bäuerinnen und Bauern sich für friedliche Proteste eingesetzt haben. Entsprechend sind die Demonstrationen jetzt auch abgelaufen – das ist für mich Ausdruck einer lebendigen Demokratie.

Man könnte auch sagen: Wenn die Bundesregierung so schnell einknickt, wird sie auch mit anderen Einsparplänen bei anderen Gruppen keinen Erfolg haben können.

Nick: Der Bundesminister hat direkt auf die überproportionale Belastung der Landwirtschaft hingewiesen und hat sich massiv für die Landwirtschaft eingesetzt. Das ist das Gegenteil von Einknicken. Die Entscheidung ist unter hohem Zeitdruck gefallen und es ist gut, dass diese Entscheidung revidiert wurde. Es bleibt aber klar: Das Haushaltsloch musste geschlossen werden, wir haben Vorschläge zur Gegenfinanzierung gemacht. Einsparungen sollten aber auch planbar und verkraftbar sein. Bäuerinnen und Bauern haben zu Recht protestiert, denn es hätte sie sehr hart und einige auch existenziell getroffen. Wir sind damit angetreten, Höfe zu erhalten und sie bei den Herausforderungen der Zukunft zu unterstützen. Landwirtinnen und Landwirte haben sich auf den Weg gemacht und tun bereits vieles für Artenvielfalt, Klimaschutz und auch in dem mir so wichtigen Thema Tierschutz. Wir haben vieles in den letzten zwei Jahren angeschoben, daran gilt es jetzt wieder anzuknüpfen.

Sind Landwirte übersubventioniert oder überbelastet?

Nick: Wichtig ist, dass die Landwirtinnen und Landwirte von ihrer Hände Arbeit leben können. Dabei unterstützen wir sie, und das ist richtig so. Wir sehen seit Jahren, dass Betriebe aufgeben, weil die Verdienste zu niedrig sind. Diese „Wachse oder weiche“-Politik ist aber nicht nachhaltig. Wir brauchen aber die vielfältige Landwirtschaft, um uns gut zu ernähren und für einen lebendigen ländlichen Raum.

Die Landwirte sprechen vom übergelaufenen Fass, Ihre Klage geht auch über so viele Auflagen, die sie auch grüner Politik „verdanken“.

Nick: Ich verstehe die Sorgen und ich verstehe auch, dass die zunächst vorgeschlagenen Kürzungen zu viel waren. Das haben wir nun korrigiert. Alles, was schlecht läuft, der aktuellen Regierung in die Schuhe schieben zu wollen, kann ich mit Blick auf die letzten 16 Jahre, unter einer unionsgeführten Bundesregierung nicht nachvollziehen. Dass die Betriebe viel Bürokratie ertragen müssen, ist auch richtig, da müssen wir ran. Das kann aber nicht bedeuten, am Umwelt- oder Klimaschutz zu sparen. Die Landwirtschaft baut auf Artenvielfalt und sauberem Wasser und Böden auf. Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die Landwirtschaft. Wenn wir auch in 50 Jahren noch sichere Ernten einfahren wollen, müssen wir gegen die Krise kämpfen, und die Landwirtschaft anpassen. Dazu braucht es Leitplanken.

Was läuft in Landwirtschaftsstruktur und der Art der Subventionierung von Landwirtschaft falsch?

Nick: Die Landwirtschaft wird von der EU, dem Bund und den Ländern gefördert. Ein Drittel des EU-Haushalts geht in die Landwirtschaft. Ich unterstütze das. Die Mittel dienen der Einkommenssicherung einer Branche, die stark von Naturereignissen, Preisschwankungen oder anderen Faktoren abhängig ist. Aber: Seit vielen Jahren gilt für landwirtschaftliche Betriebe die Regel „Wachse oder weiche“. Betriebe werden immer größer oder müssen aufgeben, was in den vergangenen Jahren über 100 000 vor allem kleinere Höfe betraf. Durch diesen Trend geht landwirtschaftliche Vielfalt verloren, bei unseren Betrieben und in unseren Landschaften. Die aktuelle Förderperiode in der EU-Agrarpolitik verstärkt diesen Trend, indem die Höhe der Subventionierung vor allem vom Flächenbesitz abhängt. Kleinere Betriebe und Höfe, die viel für Klimaschutz, die Umwelt, Artenvielfalt und Tierwohl tun, werden benachteiligt. Das muss sich ändern.

Wie sieht Ihr Plan dazu aus?

Nick: Ziel für uns im Bundeslandwirtschaftsministerium ist es, dass die deutschen Landwirtinnen und Landwirte wettbewerbsfähig bleiben und gut von ihrer Arbeit leben können. Ich möchte das Höfesterben stoppen. Deswegen haben wir verschiedene Förderprogramme wie zum Beispiel unser Bundesprogramm Umbau der Tierhaltung, mit der wir Betriebe beim Umbau zu mehr Tierwohl unterstützen, ins Leben gerufen. Ein wichtiger Hebel in der Landwirtschaftspolitik ist die gemeinsame Agrarpolitik der EU, kurz GAP. Zurzeit läuft eine Förderperiode, die noch die letzte Bundesregierung zu verantworten hat. Hier haben wir schon getan, was nach einer ersten Evaluierung der Förderkriterien möglich war, um mehr Fokus auf Leistungen der Landwirtschaft für Klima, für Umweltschutz und auch für den ländlichen Raum zu legen. Die nächste Förderperiode der GAP beginnt 2027. Wir arbeiten intensiv daran, diese fairer und unbürokratischer zu gestalten. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ – das ist das Prinzip, an der sich die GAP ab 2027 orientieren sollte.

Nimmt die Bundesregierung noch alle Einsparpläne bei den Bauern zurück, wie das auch Özdemir zuerst gefordert hatte?

Nick: Mit dem Kompromiss ist die überproportionale Belastung vom Tisch. Das ist der Vorschlag der Bundesregierung. Nun muss der Bundestag entscheiden. Aus meiner Sicht müssen wir jetzt nach vorne blicken: Wie können wir die Landwirtschaft wirklich so aufstellen, dass sie ein auskömmliches Einkommen bringt, und Umwelt, Klima und Artenschutz einbezieht. Die Bäuerinnen und Bauern brauchen eine wirtschaftliche Perspektive und soweit wie möglich Planungssicherheit.

Und was sind die Möglichkeiten in Ihrer Grünen-Fraktion dazu?

Nick: Bundestagsfraktion und Partei stehen hinter unseren Landwirtinnen und Landwirten. Wir haben immer betont, dass die Marktmacht im Lebensmittelsektor ungleich verteilt ist. Tausende von Betrieben stehen wenigen Handelsketten gegenüber. Wir sehen die strukturell bedingten Herausforderungen und setzen uns in der Koalition und darüber hinaus für landwirtschaftliche Betriebe ein, indem wir Erzeuger am Markt durch faire Handelsbedingungen stärken. Als Tierärztin im Landwirtschaftsministerium geht es mir auch darum, Tiere gut auf den Höfen halten zu können. Deshalb mache ich mich für den Tierwohlcent stark, der Landwirtinnen und Landwirte beim Umbau hin zu mehr Tierwohl unterstützen soll. Das wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Landwirte sind bereit dafür.