Hartz-IV-Debatte - Wibel um Hannelore Kraft: SPD-Vize für gemeinnützige Jobs
Berlin (dpa). In der Hartz-IV-Debatte hat sich SPD-VizeHannelore Kraft dafür ausgesprochen, gemeinnützige Jobs fürLangzeitarbeitslose zu schaffen. „Diese Menschen können zumBeispiel in Altenheimen Senioren Bücher vorlesen, in Sportvereinenhelfen oder Straßen sauber halten“, sagte die SPD-Spitzenkandidatinfür die NRW-Landtagswahl im Mai dem „Spiegel“.
Die FDP begrüßte denVorschlag, nachdem Parteichef Guido Westerwelle für seine Forderungscharf kritisiert worden war, Hartz-IV-Empfänger sollten zugemeinnützigen Arbeiten wie „Schneeschippen“ verpflichtet werden.Herbe Kritik kam vom CDU-Sozialflügel und der Linken.Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte unterdessen, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II bessere Anreize bekommen sollen, um wieder ins Arbeitsleben einzusteigen.
SPD-Vize Kraft sagte dem „Spiegel“: „Wir müssen endlich ehrlichsein. Rund ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehreinen regulären Job finden.“ Für sie müsse so schnell wie möglich„ein Gemeinwohl-orientierter Arbeitsmarkt“ aufgebaut werden.Mehrkosten für den Staat entstünden nicht. „Die meistenLangzeitarbeitslosen werden sich über eine sinnvolle Beschäftigungfreuen, selbst wenn sie dafür nur einen symbolischen Aufschlag aufdie Hartz-IV-Sätze bekommen.“
FDP-Generalsekretärs Christian Lindner erklärte dazu in Berlin,mit den Äußerungen von Kraft gestehe die SPD erstmals ein, dass es imSozialstaat einen Erneuerungsbedarf gebe. „Wir fordern die SPD auf,in der Tradition von Gerhard Schröder und Wolfgang Clement zu einerPolitik des Forderns und Förderns zurückzukehren.“
Der Bundesvorsitzende des CDU-Sozialflügels, NRW-ArbeitsministerKarl-Josef Laumann, nannte es „unerträglich“, dass die SPD-Landeschefin einem Viertel der rund 570 000 Hartz-IV-Empfänger keineChance mehr einräume. Er warf ihr vor, das eigene Land nicht zukennen. Heute schon arbeiteten mehr als 70 000 Menschen in solchengemeinnützigen Jobs.
Linken-Vize Klaus Ernst kritisierte, Kraft plane nichts anderesals eine Verschärfung von Hartz IV. „Ein-Euro-Jobs gibt es schonheute. Das Modell funktioniert nicht.“ Arbeit ohne Lohn nehme denMenschen die Würde. „Wenn die SPD in NRW auf Null-Euro-Jobs fürLangzeitarbeitslose setzt, gibt es keine Gesprächsgrundlage“, sagteErnst mit Blick auf die Landtagswahl am 9. Mai.
Kritik kam auch von der nordrhein-westfälischen CDU. In einer Mitteilung des designierten CDU-Generalsekretärs Andreas Krautscheid war von einer „Kapitulationserklärung gegenüber allen arbeitsuchenden Menschen“ die Rede. Statt neue Ideen und Konzepte für eine bessere Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu präsentieren, kopiere Kraft Westerwelle. „Bei Westerwelle müssen Hartz-IV-Empfänger Schnee schippen, bei Hannelore Kraft sollen sie im Frühling die Straße fegen.“
Das SPD-Präsidium will sich Informationen des „Spiegels“ zufolgewahrscheinlich an diesem Montag mit Vorschlägen zur Korrektur derHartz-Arbeitsmarktreformen befassen. Die Neujustierung der Reformgehöre zu den wichtigsten Anliegen von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel,schreibt das Magazin.
Kanzlerin Merkel trat in einem Interview von „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Frankfurter Rundschau“ (Samstag) dafür ein, Hilfen fürKinder von Hartz-IV-Beziehern auch als Sachleistungen zu geben. Nachdem Urteil des Bundesverfassungsgerichts werde die Regierung prüfen,„wie kinderspezifische Bedarfe am besten abgegolten werden können,also auch durch Sachleistungen wie schulische Angebote und nicht nurdurch Transferzahlungen“.
Nach einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ droht mehr als 30 000privat Krankenversicherten in diesem Jahr eine Schuldenfalle, weilsie Hartz IV beantragen müssen. Im vergangenen Jahr seien 11 000Menschen betroffen gewesen. Diese Zahlen habe das Arbeitsministeriumauf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Brigitte Pothmer genannt.
Hintergrund des Problems: Seit 2009 dürfen Privatversicherte demBericht zufolge nicht mehr in die gesetzliche Krankenkasse zurück,wenn sie in Hartz IV rutschen. Sie müssen in den Basistarif derPrivaten wechseln. Dort zahlen sie den halbierten Beitrag, derzeit291 Euro im Monat. Allerdings gewähren die Jobcenter nur einenZuschuss von 126 Euro. Können die Arbeitslosen die Differenz von 165Euro nicht zahlen, muss die Kasse zwar die Kosten für Behandlungenübernehmen, fordert die Schulden aber später ein.