Meinung Hat die Jamaika-Idee eine politische Zukunft? - Pro & Contra

Düsseldorf. Die zähen Jamaika-Verhandlungen haben gezeigt, dass die mögliche Koalition viele Potenzial für Kontroversen hat.

Foto: dpa

Gut oder schlecht für Deutschland? Zwei Meinungen.

Unabhängig vom Tagesgeschäft: Ein schwarz-gelb-grünes Bündnis wäre Ausdruck von Lebendigkeit und politischem Realismus.

Von Ekkehard Rüger, ekkehard.rueger@wz-plus.de

Lassen wir mal für einen Moment die politische Buchhalterei des Tagesgeschäfts. Kein „Wer ist kompromissbereiter?“, kein „Wer drückt am meisten seiner Wählerinteressen durch?“, kein „Wer geht seinem Untergang am schnellsten entgegen?“. Dann sprächen für die Premiere einer Jamaika-Koalition auf Bundesebene vor allem zwei Argumente: das der Lebendigkeit und das des Realismus.

Gefühlt hat die Debattenkultur zwischen Regierung und Opposition zu Zeiten der großen Koalition an ein Zwiegespräch zwischen den Besatzungen eines Hochseetankers und eines Schlauchboots erinnert. Jamaika wäre der komplette Gegenentwurf: eine Spannbreite der Politikentwürfe schon innerhalb der Regierung, der jede bräsige Tankermentalität unterbindet. Wenn es der CSU gelingen sollte, ihren Bayern-Autismus zu überwinden, könnte sich durchaus ein lebendiges Modell der gegenseitigen Korrektive ergeben.

Wen bei Jamaika stattdessen eher die Vision heilloser Streitigkeiten quält, dem hilft vielleicht eine Portion Realismus. An den Bündnissen von gestern festzuhalten, ist Politik von gestern. Die Zeiten sind unsicherer geworden, das Wählerverhalten unkalkulierbar. Politik, die das begriffen hat, muss zu neuen Bündnissen fähig sein. Es wird Zeit, dass sich diese Einsicht auch auf Bundesebene manifestiert — um die Demokratie zukunftsfähig zu machen.

Demokratie lebt vom Streit, von der Wahl zwischen verschiedenen Lösungen. Jamaika gaukelt einen Konsens nur vor.

Von Rolf Eckers, rolf.eckers@wz-plus.de

Die Schwarzen, Gelben und Grünen sprechen nur deshalb über eine mögliche Koalition, weil alle Angst vor Neuwahlen haben und weil sich die SPD in die Opposition geflüchtet hat. Mit Jamaika wächst etwas zusammen, was nicht zusammengehört. Union und FDP stehen für eine Politik, die den Kräften des Marktes vertraut. Die Grünen möchten eingreifen, ihnen geht es darum, bei Energie, Verkehr und Landwirtschaft einen Rahmen für Nachhaltigkeit zu setzen.

Wer Klimaziele ernst nimmt, muss sofort Kohlekraftwerke abschalten. Reden reicht nicht mehr. Das kostet Arbeitsplätze, der Strompreis könnte steigen. Die Grünen stehen dazu, Union und FDP sicher nicht. Wenn es um Flüchtlinge geht, setzt die CSU (und im Schlepptau auch CDU und FDP) auf Begrenzung und Abschottung, die gegenteilige Position gehört zur DNA der Grünen. Da ist kein Platz für einen ehrlichen Konsens.

Die SPD hat leidvoll erfahren, wohin es führen kann, wenn sich eine Partei gegen die eigene Grundüberzeugung in den Dienst des Landes stellt. Sie überzeugt nicht mehr, verliert ihre Glaubwürdigkeit und damit am Ende sogar ihre demokratische Funktion.

Die Angst vor Neuwahlen ist unbegründet. Selbst wenn die AfD mehr als 20 Prozent hätte, würde das Land nicht untergehen. Wir brauchen eine klare Richtungsentscheidung für Schwarz-Gelb oder Rot-Rot-Grün. Vier Jahre später können wir Wähler dann unser Urteil fällen.