In Ferguson wird Obamas Dilemma offenbar
Wieder einmal stellt sich die Frage: Werden die USA die Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen jemals überwinden?
Ferguson. Es ist bereits dunkel in Ferguson. Hunderte haben sich in den vergangenen Stunden vor dem Polizeigebäude versammelt. Sie erwarten eine Entscheidung. Sie sind bereit, sie zu bejubeln oder — viel wahrscheinlicher — gegen sie zu protestieren.
Im Nachbarort Clayton stellt sich Staatsanwalt Robert McCulloch in einem kargen Gerichtssaal der Presse. Er erklärt das Urteil der Grand Jury. Die prüfte, ob der weiße Polizist Darren Wilson für seine Todesschüsse auf den schwarzen Teenager Michael Brown angeklagt wird.
In der US-Hauptstadt Washington verfolgt Präsident Barack Obama die Lage genau. McCulloch ist noch mitten in seinen Ausführungen, da kündigt das Weiße Haus spontan einen Auftritt Obamas in wenigen Minuten an.
Alles geht ganz schnell. Noch während McCulloch erklärt, warum der Polizist in Notwehr gehandelt habe, als er den unbewaffneten 18-Jährigen erschoss, ruft Obama die Demonstranten zur Ruhe auf — beklagt aber zugleich ungelöste Konflikte zwischen Schwarzen und Weißen. In Ferguson fliegen zu diesem Zeitpunkt schon Steine und Flaschen, Gebäude brennen. Die Ausschreitungen sind schlimmer als im August nach dem Tod von Michael Brown.
Auch in anderen Städten haben in der Nacht Unzufriedene demonstriert. Der „Freispruch“ für Wilson ist der Auslöser, aber nicht die Ursache. Die Situation in Ferguson zeige, dass die Geschichte der Diskriminierung in seinem Land trotz aller Fortschritte noch nicht zu Ende sei, erklärt Obama. „Es gibt immer noch Probleme, und die schwarzen Gemeinden erfinden die nicht einfach nur.“
Ein schwieriger Auftritt für den ersten schwarzen US-Präsidenten. Er muss aufgewühlte Gemüter beruhigen. Als Staatsoberhaupt das Justizsystem verteidigen. Bei aller persönlichen Betroffenheit unparteiisch sein. Er ist der Vertreter des ganzen Volkes, nicht der afroamerikanischen Minderheit. „Es gibt gute Leute auf allen Seiten der Debatte“, sagt er. Doch er wirkt ausgelaugt, enttäuscht.
Es wäre einfach, Ferguson als tragischen Einzelfall abzutun. So wie Staatsanwalt McCulloch die Beweislage darlegt, klingt es plausibel, dass Polizist Wilson sich tatsächlich bedroht fühlte. Er habe den 18-Jährigen an jenem schicksalsschweren Sommertag aufgefordert, nicht mitten auf der Straße zu gehen. Der Jugendliche sei an das Fenster des Polizeiwagens getreten und habe reingegriffen. Es gab ein Gerangel. Zwei Schüsse fielen. Wilson sagt, Brown habe ihn geschlagen, nach seiner Waffe gegriffen. Dann habe er sich wieder vom Wagen entfernt. Wilson sei ihm nachgelaufen. Es gebe Beweise, dass der Teenager sich umgedreht habe und zwei Mal auf Wilson zugekommen sei. Deshalb feuerte der Polizist zehn Schüsse. Es „existiert kein hinreichender Verdacht“, dass Wilson das Gesetz gebrochen habe, schlussfolgert McCulloch. Doch der Auftritt des Chefanklägers wirkt herablassend, seine Beileidsbekundung für Browns Eltern kühl. Den Tod des Jungen bezeichnet er als „Chance“ für die Gemeinde. Das sehen viele anders.
Es ist nicht das erste Mal in Obamas Präsidentschaft, dass ein solcher Fall für Wut und Zorn bei Afroamerikanern und Bürgerrechtlern sorgt. Doch Obama sind weitgehend die Hände gebunden. Ethnisch oder kulturell begründete Vorurteile lassen sich nur bedingt durch Gesetze bekämpfen.