Debatte um Kanzlerkandidatur Merz fordert vorzeitiges Amtsende Merkels
Berlin · Der CDU-Politiker nennt die Arbeit der Regierung „grottenschlecht“. Die Debatte um die Kanzlerkandidatur wird angefacht.
Offen wie nie zuvor hat der frühere Fraktionschef der Union, Friedrich Merz, die Arbeit von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) attackiert. Und die der großen Koalition gleich mit. Deren Erscheinungsbild sei „grottenschlecht“, sagte der als möglicher CDU-Kanzlerkandidat gehandelte Politiker am Montagabend. Er forderte ein vorzeitiges Amtsende Merkels.
Die Landtagswahl in Thüringen, bei der CDU und SPD stark an Stimmen einbüßten, sei ein „großes Misstrauensvotum gegenüber der großen Koalition in Berlin“ gewesen, führte Merz in dem Interview aus. Die Bundesregierung sei „abgestraft worden“. Seit Jahren lege sich „wie ein Nebelteppich die Untätigkeit und die mangelnde Führung durch die Bundeskanzlerin“ über das Land. Er könne sich „schlicht nicht vorstellen, dass diese Art des Regierens in Deutschland noch zwei Jahre dauert bis zum Ende dieser Wahlperiode“. Dafür seien die Probleme zu groß.
Als Beispiel nannte Merz die Grundrente, über die seit Monaten ergebnislos in der großen Koalition diskutiert werde. Dabei stehe im Koalitionsvertrag, dass sie mit einer Bedürftigkeitsprüfung kommen solle. Die Menschen fragten sich, warum die CDU das nicht durchsetze, sondern „immer wieder Zugeständnisse an die SPD“ mache. Merz nahm Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, gegen die er letztes Jahr im Führungskampf unterlegen war, von seiner Kritik aus, allerdings mit einer denkwürdigen Formulierung: Sie habe bei dem schlechten Wahlergebnis in Thüringen „nach meiner Beobachtung kaum eine negative Rolle gespielt“. An der Basis stehe „ganz überwiegend die Bundeskanzlerin im Mittelpunkt der Kritik“.
Parteiinterne Warnung vor zu viel Nabelschau
Allein blieb Merz mit seiner Attacke in der CDU nicht. Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch warf der Bundesregierung und „besonders der Bundeskanzlerin“ eine „Argumentationsenthaltung“ vor. Dies gelte vor allem in der Klimaschutzdebatte. Deutschland brauche eine Kanzlerin, „die durch das Land reist und für ihre Konzepte, auch ihre Kompromisse wirbt“. Der Chef des Parlamentskreises Mittelstand, Christian von Stetten, forderte einen Kurswechsel: „Erst wenn die CDU bereit ist, Fehler in der Flüchtlings-, Euro- und Energiepolitik offen einzugestehen, haben wir eine Chance, die verloren gegangenen Wähler zurückzugewinnen.“
Gesundheitsminister Jens Spahn, der ebenfalls im Rennen um den Parteivorsitz gegen Kramp-Karrenbauer angetreten war und ebenfalls als Kanzlerkandidat gehandelt wird, wies Merz‘ Kritik zurück. Wenn er sich die Halbzeitbilanz der großen Koalition anschaue, „dann finde ich, hat diese Bundesregierung ziemlich viel umgesetzt“, sagte der CDU-Politiker. Spahn forderte die CDU auf, sich auf Sachdebatten zu konzentrieren. Wenn man alle sechs Monate Personal- und Verfahrensdebatten führe, werde man kein Vertrauen zurückgewinnen.
Mit seinem Vorstoß heizte Merz auch die Debatte um die nächste Spitzenkandidatur der Union wieder an. Erst vor zwei Wochen hatte die Junge Union bei ihrem Deutschlandtag eine Urwahl des Kanzlerkandidaten gefordert; Merz war dort gefeiert worden. JU-Chef Tilmann Kuban hatte im CDU-Vorstand dann verlangt, Vorsitz und Kanzlerkandidatur zu trennen. Annegret Kramp-Karrenbauer hatte daraufhin geantwortet, dass sie wie üblich als Vorsitzende einen Vorschlag machen werde, und zwar Ende 2020, also ein Jahr vor der geplanten Wahl.
Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) warnte seine Partei vor zu viel Nabelschau. „Mit dem Gerede über die Kanzlerkandidatur muss endlich Schluss sein“, sagte Linnemann.