Interview mit dem Kanzleramtschef Altmaier: "Die Menschen erhalten eine Perspektive"

Berlin. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) rechnet damit, dass in diesem Jahr "sehr viel weniger" Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden. Die zwischen EU und Türkei getroffene Vereinbarung sei dafür ein wichtiger Schritt, so der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung im Gespräch mit unserer Zeitung.

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Zugleich ermahnt er die CSU, sich beim Thema Visafreiheit an bereits gefällte Beschlüsse zu halten.

Herr Altmaier, in Deutschland kommen kaum noch Flüchtlinge an. Ist die Krise so gut wie vorüber?

Altmaier: Nein. Aber wir haben mit der Einigung von vergangenem Freitag zum ersten Mal die Chance, dass wir den Menschen in den Krisenregionen helfen, Europa seine Verantwortung erfüllt und deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Das ist der Erfolg der Bundeskanzlerin.

Muss die Bundesregierung nicht auch den Ländern danken, die Zäune und Obergrenzen eingeführt haben? Deswegen kommen ja kaum noch Flüchtlinge.

A: Der entscheidende Punkt ist doch, dass insgesamt weniger Flüchtlinge nach Europa kommen. Deshalb ist die mit der Türkei erreichte Vereinbarung so wichtig. Länder wie Österreich oder Mazedonien mussten ebenso wie Deutschland in den letzten Monaten eine große Herausforderung bewältigen. Wir hätten es aber begrüßt, wenn über eine Grenzschließung in einem gemeinsamen europäischen Vorgehen gesprochen worden wäre. An den Bildern aus dem Lager Idomeni sieht man die Folgen.

F: Warum nimmt Deutschland die Menschen dort nicht einfach auf? Ähnlich ist die Kanzlerin letztes Jahr bei den Ungarn-Flüchtlingen verfahren.

A: Das ist ein schwieriger Fall. Die EU hat dazu einen Beschluss gefasst. Die Flüchtlinge sollen zunächst menschenwürdig in Griechenland untergebracht werden. Es wird dann geprüft, wer schutzbedürftig ist. Mit Ausnahme von Ungarn und der Slowakei werden sich alle EU-Staaten an der Aufnahme beteiligen. Damit erhalten die Menschen in Idomeni ebenfalls eine Perspektive - wenn auch für die allermeisten nicht in Deutschland.

Griechenland wirkt überfordert mit der Umsetzung des EU-Türkei-Pakts. Wie kann die Bundesregierung helfen?

A: Griechenland bekommt Unterstützung von seinen europäischen Partnern durch mehrere Tausend Asylspezialisten und Polizisten. Wir werden uns daran beteiligen. Die ersten deutschen Experten sind bereits in Griechenland im Einsatz, weitere machen sich auf den Weg.

Auf wie viele Flüchtlinge muss sich Deutschland in diesem Jahr einstellen?

A: Wir sind gerade kurz nach Inkrafttreten der neuen Regelungen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es also falsch, mit Zahlen zu hantieren. Es sollen und können aber sehr viel weniger werden als im vergangenen Jahr.

Kritiker wie die CSU bemängeln die Zugeständnisse an die Türkei - kommt die Visa-Freiheit?

A: Es wird nichts anderes als das umgesetzt, was bereits im letzten November Gegenstand der Vereinbarung der drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD gewesen ist. Die Europäische Union hat der Türkei das Angebot der Visafreiheit auch schon Ende November 2015 unterbreitet. Allerdings muss die Türkei 72 Kriterien erfüllen, damit Visafreiheit möglich ist - darunter auch sichere, biometrische Pässe.

Aber die CSU sagt, damit werde das Kurdenproblem nach Deutschland geholt.

A: Wir waren uns im Herbst mit Horst Seehofer einig, dass eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingskrise am ehesten durch Vereinbarungen und Lastenteilungen mit der Türkei funktionieren kann. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Überhaupt hat man nicht den Eindruck, als wolle die CSU jetzt Ruhe geben. Sind Sie genervt von der Schwesterpartei?

A: Nein. Ich hoffe auf eine österliche Besinnungspause. Und darauf, dass wir mit einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen Griechenland, der Türkei und der EU uns endlich der nächsten großen Aufgabe widmen können: der Integration. Da haben wir mit der CSU in fast allen Punkten gemeinsame Auffassungen.

Rechts von der Union ist die AfD erfolgreich entstanden. Was hat die Kanzlerin falsch gemacht?

A: Wir haben schon öfter erlebt, dass bei großen internationalen Krisen Parteien an den Rändern begünstigt werden. Wichtig ist, dass wir das Problem lösen. Und deutlich machen, dass wir Fremdenfeindlichkeit nicht tolerieren, sondern entschieden dagegen vorgehen.

Heißt das, die AfD erledigt sich von selbst?

A: Nochmal: Wir müssen klare Kante zeigen. Wenn dies zusammenkommt mit einer nachhaltigen Reduzierung der Flüchtlingszahlen und einer gelungenen Integration, dann wird die AfD den Höhepunkt ihrer politischen Wirksamkeit bald überschritten haben.