Armutsbericht: Sensible Daten im Wahlkampf

Am Mittwoch wurde der vierte Armuts- und Reichtumsbericht vorgestellt — ein Werk mit viel sozialem Sprengstoff für die Regierung.

Berlin. 491 Seiten zwischen einem grünen Pappdeckel, das ist der mit Spannung erwartete „vierte Armuts- und Reichtumsbericht“. In Wahlkampfzeiten wie diesen sind die Daten sensibel. Über ein halbes Jahr brauchte die Bundesregierung denn auch vom ersten Entwurf bis zur Beschlussfassung am Mittwoch im Kabinett.

Wer weniger als 952 Euro zur Verfügung hat, gilt als arm. Das Kriterium „Armutsrisiko“ berücksichtigt alle, die weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens haben. Das ist relativ und bedeutet nicht automatisch materielle Not.

Der Anteil der Menschen mit „Armutsrisiko“ stieg von etwa zwölf Prozent im Jahr 2000 nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf etwas über 14 Prozent im Jahr 2004 an. Nach anderen Statistiken lag er zeitweise sogar bei 16 Prozent.

In der jüngsten Zeit verringerte er sich wieder auf etwa 13 Prozent, was Sozialministerin Ursula von der Leyen auf die steigende Beschäftigung zurückführt. Weit größer ist das „Armutsrisiko“ allerdings bei den Arbeitslosen (56 Prozent) und bei den Alleinerziehenden (40 Prozent). Der Anteil der als arm geltenden Hartz-IV-Bezieher sank von 9,8 Prozent der Bevölkerung in 2007 auf 8,9 in 2011.

Aus Sicht der Ministerin die entscheidende. „Armut kann man am besten durch Arbeit verhindern“, sagte sie. Allerdings gibt es trotz einer stark gesunkenen Arbeitslosenquote und der europaweit niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit auch Schattenseiten.

So ist der Anteil der Niedriglöhner von 20 Prozent im Jahr 2000 auf jetzt rund 23 Prozent gestiegen. Die Erwerbsquote von Frauen ist mit über 71 Prozent zwar hoch, doch arbeiten 45 Prozent von ihnen in Teilzeit. Von der Leyen will einen Rechtsanspruch zur Rückkehr auf eine Vollzeitstelle einführen.

Nach dem dafür gebräuchlichen „Gini-Koeffizienten“, der zwischen Null (völlige Gleichverteilung) und Eins (völlige Ungleichheit) misst, liegt Deutschland mit 0,29 unter dem Durchschnitt der Industrieländer von 0,31 und ist damit „gleicher“ als etwa die USA (0,38) oder Großbritannien (0,34). Die skandinavischen Gesellschaften (0,25), Frankreich oder Österreich sind etwas gleicher.

Immerhin habe die Einkommensspreizung in den vergangenen Jahren nicht mehr zugenommen, meinte von der Leyen zufrieden. Anders beim Vermögen: Verfügten die oberen zehn Prozent der Bevölkerung 1998 noch über 45 Prozent allen Vermögens, so waren es 2008 schon 53 Prozent. Bei den vermögensbezogenen Steuern liegt Deutschland im Vergleich am drittniedrigsten.

Opposition und Sozialverbände verschärften am Mittwoch ihre Kritik. Von einer „Vernebelungsaktion“ sprach die evangelische Diakonie, von einer „Peinlichkeit“ der Paritätische Wohlfahrtsverband. Der CDU-Wirtschaftsrat dankte hingegen Rösler, der „Zerrbilder“ verhindert habe.

Deutschland zähle weltweit zu den Staaten mit der ausgeglichensten Einkommensverteilung. Allerdings müssten die Aufstiegschancen verbessert werden. Verbesserungen im Bildungssystem mahnten die Arbeitgeberverbände an.

Der „Vierte Armuts- und Reichtumsbericht“ kann eingesehen werden unter: bmas.de