Arzneimittel-Report: Demenzkranke werden ruhiggestellt

Laut einer Studie bekommen Pflegebedürftige gefährliche Medikamente, weil für Betreuung keine Zeit ist. Weiterer Kritikpunkt: Das Schmerzmittel Metamizol erlebt trotz schlimmer Nebenwirkungen eine Renaissance.

Berlin. Gerd Glaeske ist entsetzt. Was den bekannten Pharmakritiker auf die Palme bringt, trägt den harmlos klingenden Namen Metamizol. Dem Schmerzmittel bescheinigt der Autor des neuen Arzneimittelreports der Krankenkasse Barmer GEK eine „Renaissance sondergleichen“. Allein die Patienten des Branchenführers unter den Kassen hätten das Mittel trotz möglicher schwerer Nebenwirkungen wie Schock oder Blutarmut vergangenes Jahr 460 000 Mal verordnet bekommen. In den USA oder Schweden werde es gar nicht verschrieben — und es sei problemlos ersetzbar. Laut Glaeske nur eines von vielen Beispielen massenhaft verschriebener riskanter Pillen.

Drei Problemgruppen stellt die neue Studie heraus: Demenzkranke, Alkoholabhängige und gesunde junge Frauen, die mit der Pille verhüten. Überall zeigt sich nach Feststellung des Bremer Professors dasselbe Bild: Fast hemmungslos verschreiben Ärzte Medikamente ohne Rücksicht auf die Risiken.

Beispiel Neuroleptika: Die dämpfend auf die Nerven wirkenden Beruhigungsmittel sind auch laut Arzneireport gut — für Menschen mit Psychosen oder Schizophrenie etwa. „Sie haben es geschafft, die geschlossenen Anstalten zu öffnen“, erkennt auch Glaeske an. Viele Kranke könnten ambulant behandelt werden. Doch fatalerweise bekämen auch Demenzkranke in Heimen regelmäßig diese Mittel, obwohl die Sterblichkeit dann um das 1,7-fache steigt. „Arzneimitteltherapie ist kein Ersatz für eine vernünftige Pflege“, mahnt Glaeske.

Beispiel Benzodiazepine: Schlafmittel wie Valium, Rohypnol oder Dalmadorm sind seit langem als Mittel der stillen Sucht bei Frauen bekannt. Doch nun schlägt Glaeske Alarm — gegen alle ärztliche Kunst werden die Mittel mit ihrem Abhängigkeitspotenzial seinen Erkenntnissen nach auch hunderttausendfach an Alkoholabhängige verordnet. „Sie sollen nicht eingesetzt werden bei Menschen, die bereits abhängig sind“, mahnt der Forscher.

Beispiel hormonelle Verhütung: Laut Arzneireport nehmen junge Frauen besonders oft Antibabypillen der neuesten Generation, die doppelt bis dreifach so oft einen Gefäßverschluss mit sich bringen.

Mit rund 40 Fällen bei 100 000 Frauen in einem Jahr ist das Risiko zwar relativ gering — doch da genug Mittel ohne die ursächlichen Gestagene auf dem Markt sind, findet Glaeske die Nebenwirkungen dennoch nicht akzeptabel. Nur: Die älteren Mittel brächten den Herstellern weniger ein.