Atomkraftwerke gehen stufenweise vom Netz

Berlin (dpa) - Die Atomkraftwerke in Deutschland sollen bis 2022 in klar festgelegten Stufen abgeschaltet werden. Jedem AKW werde ein „Endproduktionsdatum“ zugeordnet, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Gespräch mit den 16 Ministerpräsidenten am Freitag in Berlin.

Über die dauerhafte Stilllegung der acht nach dem GAU von Fukushima bereits vorübergehend abgeschalteten AKW hinaus wurden die Jahre 2015, 2017, 2019 und 2021 sowie 2022 vereinbart.

„Das ist selbstverständlich rechtssicher“, sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach einem Treffen der Spitzen von Union und FDP mit Blick auf mögliche Klagen der Konzerne. Bei dem Treffen wurde am Freitagabend der Abschaltplan abgesegnet. Demnach könnte nach den acht sofort stillzulegenden AKW als nächstes 2015 das Grafenrheinfeld in Bayern vom Netz gehen. Am Montag will das Kabinett das neue Atomgesetz beschließen. Röttgen rief zu einem breiten Konsens auf.

Die zunächst erwogene Abschaltung vieler AKW auf einmal erst 2021/2022 hatten die Bundesländer bei einer Vorbereitung des Treffens mit Merkel abgelehnt und damit den Handlungsdruck auf die Kanzlerin erhöht. Auch SPD und Grüne hatten eine geballte Abschaltung erst 2021/2022 kritisiert. Greenpeace hatte von einem Atomausstieg als Mogelpackung gesprochen.

Mit Merkels Kehrtwende ist der Weg zu einem Konsens mit der Opposition womöglich geebnet, denn so wird die Atomstrommenge bis zum Ausstieg verringert und der Ausstieg beschleunigt. Allerdings halten sich die Grünen ihre Zustimmung noch offen, gegebenenfalls soll ein Sonderparteitag am 25. Juni entscheiden.

Trotz der Ablehnung der Länder will die Regierung aber bis 2013 an einem Reserve-AKW für den Fall von Stromengpässen festhalten. Das hatte aus Gründen der Versorgungssicherheit besonders FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler gefordert.

Merkel betonte, dies sei nur die letzte Option. Zuvor solle versucht werden, mit Gas- und Kohlekraftwerken Engpässe abzufedern. Die Bundesnetzagentur wolle bis August Auskunft geben, ob dies ohne Atomkraftwerk möglich sei. Wenn nicht, müsse Ersatz gefunden werden.

Die Netzbetreiber rechnen mit einem zusätzlichen Strombedarf von bis zu 2000 Megawatt an kalten Wintertagen, weil dann kaum Solar- und Importstrom zur Verfügung stehen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sagte: „Nach dem Gespräch heute mit der Bundesregierung sage ich, dass die Möglichkeit besteht zu einem breiten parteipolitischen Konsens für das, was Rot-Grün schon einmal vereinbart hatte.“ Die SPD-Länder seien zum Energiekonsens bereit. Entscheidend sei, dass der Prozess unumkehrbar angelegt werde und es keine Hintertüren gebe.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) betonte, mit dem stufenweisen, verlässlichen, irreversiblen Ausstieg sei eine verlässliche Variante gefunden worden. So könnten auch „Misstrauensdiskussionen“ abgeräumt werden.

Die Bundesländer hatten zuvor in wichtigen Punkten wie dem „Stand By“-AKW und dem Abschalttempo deutlich Position gegen das ursprüngliche Konzept der Bundesregierung bezogen. „Es ist ganz wichtig, dass wir 16 Länder zusammenbleiben“, sagte Haseloff.

Die Länder sprachen sich zudem dafür aus, zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens Bundestag und Bundesrat parallel mit dem Energiepaket zu befassen. Das ist auch notwendig, weil sonst keine gesetzliche Grundlage vorliegt für die endgültige Stilllegung der vorläufig abgeschalteten AKW, also der sieben ältesten und Krümmel. Die Betriebszeit der neun laufenden AKW soll auf 32 Jahre festgelegt werden plus die übertragenen Strommengen von den stillgelegten AKW.

Die beschleunigte Energiewende verursacht bei den großen deutschen AKW-Betreibern einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zufolge Vermögensschäden bis zu 22 Milliarden Euro.

Die Bundesregierung suche einen Konsens mit den Ländern, auch wenn viele Gesetze nicht zustimmungspflichtig seien, begrüßte Haseloff. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) betonte, die Energiekonzerne hätten Rückstellungen von 20 Milliarden Euro für den Rückbau der AKW. Beim Thema Endlager-Suche forderten die Länder eine Lösung. Merkel will eine gesetzliche Regelung bis Ende 2011.

Niedersachsen pocht bei der Energiewende auf mehr Mitsprache beim Netzausbau. Nach Ansicht von Ministerpräsident David McAllister (CDU) sollen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden. Der Bund sei nicht gut beraten, Höchstspannungstrassen selbst zu planen, sagte er im Deutschlandfunk. Das Raumordnungsverfahren könne auf den Bund übertragen werden, die Planfeststellungsverfahren sollten bei den Ländern verbleiben. Dieser Vorschlag wird laut Merkel nun in einer Arbeitsgruppe geprüft.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte mit Blick auf den nun greifbar gewordenen Konsens: „Wenn die Bundesregierung den Ländern folgt, könnte das ein sehr tragfähiger gesellschaftlicher Kompromiss sein, der auch allen Investoren in alternative Energien Investitionssicherheit gibt.“