Auschwitz-Urteil: Opfervertreter heben Kurswechsel hervor

Lüneburg/Terre Haute (dpa) - Nach dem Lüneburger Auschwitz-Urteil haben Opfervertreter die Klarstellung des Gerichts hervorgehoben, dass auch kleine Rädchen der Vernichtungsmaschinerie mit einer Verurteilung rechnen müssen.

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Die Entscheidung folge dem Grundsatz, „dass egal welche Rolle eine Person bei dem Morden gespielt hat, er oder sie Mordkomplizen waren und Verantwortung tragen“, sagte eine Sprecherin der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Das Landgericht hatte den früheren SS-Mann Oskar Gröning am Mittwoch wegen Beihilfe zum Mord in Auschwitz in 300 000 Fällen zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Er hatte unter anderem eingeräumt, in dem Nazi-Vernichtungslager Geld aus dem Gepäck der Verschleppten genommen und nach Berlin weitergeleitet zu haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil Staatsanwaltschaft und Verteidigung noch eine Revision prüfen wollen.

Der wichtigste Aspekt des Prozesses gegen Gröning sei es gewesen, dass er eine Debatte über die persönliche Verantwortung eines jeden Einzelnen für die Schrecken der NS-Zeit angestoßen habe, sagte die Yad-Vashem-Sprecherin. Er sei dem Grundsatz gefolgt, „dass die Nazi-Verbrechen nie verjähren können“.

Wichtig war nach Einschätzung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma die Kritik des Vorsitzenden Richters an der Nachkriegsjustiz, die die Täter zum Teil mit juristischen Winkelzügen weitestgehend außer Verfolgung setzte. Von den 37 Ermittlungsverfahren, die allein der Zentralrat seit 1982 angestrengt habe, habe es lediglich in einem Fall eine Verurteilung gegeben, sagte der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose.

Wenn das Urteil gegen Gröning rechtskräftig wird, könnten auf den 94-Jährigen Verfahrenskosten in sechsstelliger Höhe zukommen, sagte Gerichtssprecherin Frauke Albers dem NDR. Allein die Anwaltsgebühren ohne Spesen lägen bei mindestens 120 000 Euro. Insgesamt waren die mehr als 70 Nebenkläger zuletzt von 14 Juristen vertreten worden. Dazu kämen Kosten für die Dolmetscher von rund 75 000 Euro plus Spesen, sagte Albers weiter. Für die eigens als Verhandlungsort angemietete Ritterakademie schlügen knapp 65 000 Euro zu Buche.

Die Auschwitz-Überlebende Eva Kor äußerte sich indes enttäuscht über das Urteil. „Es ist zu spät für diese Art von Urteil“, erklärte die 81-Jährige in Terre Haute (US-Bundesstaat Indiana). „Sie versuchen, eine Lektion zu erteilen: Wer ein Verbrechen verübt, wird bestraft“, sagte Kor, die als Kind zusammen mit ihrer Zwillingsschwester vom berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele in Auschwitz zu pseudomedizinischen Medikamenten missbraucht worden war. „Seine (Grönings) Schuld wird nicht geringer, bloß weil er alt ist. Aber warum haben sie (die Juristen) das nicht schon vor 20 Jahren getan?“

„Mir wäre es lieber gewesen, man hätte ihn zu Sozialdienst verurteilt, um gegen Neo-Nazis zu sprechen“, sagte Kor. „Das Gericht soll mir, einer Überlebenden, beweisen, wie vier Jahre Gefängnis irgend jemandem nutzen.“

Kor hatte in dem Prozess als Zeugin ausgesagt und öffentlich erklärt, sie habe Gröning vergeben. Andere Überlebende kritisierten sie wegen dieser Äußerungen scharf. „Meine Vergebung hat nichts mit den Tätern zu tun, das ist für meinen Heilungsprozess“, sagte Kor zu ihrer umstrittenen Geste.