„Bläh-Bundestag“ verhindern Streit um Wahlrecht: Politik steckt in der Zwickmühle

Berlin · Das Wahlrecht in Deutschland muss reformiert werden, um einen Bläh-Bundestag zu verhindern. Doch den Parteien läuft die Zeit davon.

Der Bundestag ist größer als je zuvor – und kostet so viel Geld wie nie, beklagt der Bund der Steuerzahler.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Bis Ende des Monats solle man eine Reform des Wahlrechts schaffen, hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) kürzlich gesagt. Demnach sind nur noch fünf Tage Zeit, um ein höchst vertracktes Problem zu lösen – und zu verhindern, dass der nächste Bundestag mit 800 Abgeordneten den jetzigen mit seinen 709 Parlamentariern an Größe noch übertrifft. Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren.

Im Wahlkreis gilt das Mehrheitswahlrecht. Wer bei den Erststimmen vorne liegt, egal wie knapp, gewinnt ihn. Früher, als CDU, CSU und SPD die Parteienlandschaft noch klar dominierten, war das kein Problem. Doch jetzt sind die einstigen Volksparteien klein geworden. Oft holen sie das Direktmandat schon mit 30 Prozent der Erststimmen. Bestes Beispiel ist die CSU. Sie gewann 2017 alle 46 Direktmandate Bayerns. Das wäre also schon die Hälfte aller Bundestagssitze des Freistaats. Die CSU hatte aber nur 38,8 Prozent der Zweitstimmen. Was die Christsozialen bei den Direktmandaten zu viel bekamen („Überhangmandate“) musste bei den anderen Parteien ausgeglichen werden („Ausgleichsmandate“), damit das Verhältnis hinterher wieder stimmt. Und so schickt Bayern derzeit 108 statt 92 Abgeordnete nach Berlin.

Der Ausgleichsbedarf wird noch vergrößert, weil es einen Verrechnungsmechanismus zwischen den Ländern gibt, damit alle angemessen  vertreten sind. Insgesamt gibt es derzeit im Bundestag neben den 598 regulären Sitzen 46 Überhangmandate (bis auf drei der SPD alle bei CDU/CSU)  und 65 Ausgleichsmandate. Auf der Basis der aktuellen Umfragen wäre der nächste Bundestag noch aufgeblähter.

Die Idee der Opposition:

Senkung der Zahl der Wahlkreise auf 250 und Erhöhung der Sollzahl auf 630 Abgeordnete. Es gäbe damit einen Spielraum von 130 Sitzen bei Überhang- und Ausgleichsmandaten, und man wäre immer noch unterhalb des Solls. Das lehnten die Parteien der Groko jedoch bisher ab. Ihr Argument: Größere Wahlkreise bedeuten weniger Bürgernähe. Neuerdings deutet die CDU hier allerdings Kompromissbereitschaft an, während die  CSU weiter vehement dagegen ist. Weiteres Problem: Der komplizierte Neuzuschnitt der Wahlkreise müsste sehr schnell geschehen, weil ab Sommer schon die Kandidatenaufstellungen erfolgen. Das ist kaum noch zu schaffen.

Ideen aus der Koalition:

Aus den Reihen von CDU und CSU gab es den Vorstoß, den Bundestag einfach gesetzlich auf eine Größe von 598 Abgeordneten festzulegen, bei Beibehaltung aller 299 Direktmandate. Das würde schlicht einen Verzicht auf alle Ausgleichsmandate bedeuten und der Union aktuell 43 Sitze mehr geben, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht zustehen. Helle Empörung der anderen Parteien war die Reaktion. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus schlug vor, wenigstens 15 Überhangmandate nicht auszugleichen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht als tolerabel bezeichnet. 

Der Vorstoß des Bundestagspräsidenten:

Wolfgang Schäuble will die Zahl der Direktmandate moderater als die Opposition auf 270 senken – und wie Brinkhaus 15 Überhangmandate unausgeglichen lassen. Das wirkt wie ein Kompromiss, jedoch wurde vorgerechnet, dass auch diese Idee die Union bevorzugen würde. Zudem sei eine durchgreifende Verkleinerung des Bundestages so nicht erreichbar.

Radikalere Vorschläge:

Die Abschaffung der Erststimme oder andersherum des Verhältniswahlrechtes hat keine Chance. Einige Wissenschaftler und Gutachter haben auch Systeme vorgeschlagen, bei denen nur die Wahlkreisgewinner mit den besten Ergebnissen das Mandat bekommen, während sonst die Listen Vorrang haben. Allerdings ist fraglich, ob das verfassungsfest wäre – schließlich könnte es so passieren, dass ein Wahlkreisgewinner einem Unterlegenen den Vortritt lassen müsste.

Einvernehmen gibt es zwischen allen Parteien, dass die Reform kommen muss. Und ebenso, dass sie im Konsens geregelt werden soll, damit niemand die Legitimität des Parlaments hinterher anzweifeln kann. Der Rest ist eine einzige große Zwickmühle.