Boom bei „Pflege-Bahr“
Berlin (dpa) - Knapp ein Jahr nach dem Start des sogenannten „Pflege-Bahr“ erlebt die staatlich geförderte Zusatzversicherung einen Boom. Zurzeit würden pro Arbeitstag rund 1600 Verträge abgeschlossen, teilte der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) mit.
Der scheidende Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte am Freitag der Deutschen Presse-Agentur: „Es war richtig, dass erstmals auch viele Menschen mit Vorerkrankungen nun eine private Versicherung abschließen können.“
PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach sagte, bisher seien 270 000 Verträge abgeschlossen, für die bereits Geld fließe. Weitere 62 600 seien zwar unterschrieben, würden aber erst beginnen. „Angesichts der stark steigenden Nachfrage rechnen wir damit, dass die geförderte Pflegezusatzversicherung im nächsten Jahr die stolze Marke von einer Million Verträgen erreichen wird“, sagte Leienbach. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte zuerst über diese Zahlen berichtet.
Beim „Pflege-Bahr“ wird eine Fünf-Euro-Zulage pro Monat gezahlt, wenn der Versicherte selbst einen Mindestbeitrag von zehn Euro aufbringt. Risikozuschläge und Gesundheitsprüfungen sind nicht zulässig.
Völlig offen ist, wie Union und SPD mit der geförderten Zusatzversicherung umgehen werden. Die SPD hatte im Wahlkampf erklärt, sie wolle den „Pflege-Bahr“ abschaffen. Beide Seiten beraten am Sonntag über die Pflege.
Die massive Kritik an dem Konstrukt hält an. Der Berater Timo Voß vom Bund der Versicherten führte den Anstieg bei den Verträgen darauf zurück, dass diese nach dem Gießkannenprinzip ohne angemessene Beratung verschickt würden. „Hier werden am Bedarf vorbei billige Produkte verkauft“, sagte er der dpa.
Jene mit hohem Pflegerisiko würden sich in den Tarifen sammeln. Dies lasse die Beiträge steigen, sagte Voß. Die Leistungen fielen dann wohl geringer aus als nötig. Der Pflegeexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Dieter Lang, sagte der dpa: „Wir sollten den 'Pflege-Bahr' auslaufen lassen.“
Der Gesundheitspolitiker Harald Weinberg (Linke) kritisierte, der „Pflege-Bahr“ mache die Versicherungskonzerne reicher, verbessere aber die Pflege nicht. Im Schnitt seien die „Pflege-Bahr“-Kunden heute 28 Jahre alt. „Da die Verträge oftmals keine Anpassung an die Inflation vorsehen, kann man fragen, was diese 600 Euro wert sein werden, wenn man in 60 Jahren pflegebedürftig wird.“
Das Ministerium wehrte die Kritik ab: „Wir können die Kritik von Verbraucherschützern nicht nachvollziehen“, sagte ein Sprecher. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, mit der staatlich geförderten Zusatzversicherung das Pflegerisiko voll abzusichern. „Der Plan ist, die Lücke ein Stück weit zu schließen und einen Einstieg zu bieten.“
Der CDU-Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheit bei den Koalitionsverhandlungen, Jens Spahn, pflichtete dem bei: „Die große Nachfrage macht deutlich, das es die richtige Entscheidung war - unbürokratisch, niedrigschwellig und attraktiv auch für Ältere.“