Bundestag entschuldigt sich nach Neonazi-Morden
Berlin (dpa) - Mit einer außergewöhnlichen Geste hat der Bundestag seine Bestürzung über die Neonazi-Mordserie zum Ausdruck gebracht.
Alle Abgeordneten erhoben sich von ihren Plätzen, als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Angehörigen für Fahndungspannen und falsche Verdächtigungen um Entschuldigung bat. „Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten.“ Bei Symbolik blieb es nicht: Die schwarz-gelbe Koalition will die Mittel für Initiativen gegen Rechtsextremismus nun doch nicht kürzen.
Am Ende einer emotionalen und teilweise hitzigen Debatte beschloss der Bundestag einstimmig eine parteiübergreifende Resolution zu der Mordserie. Darin werden die Opfer der Anschläge namentlich genannt. Der Bundestag erwarte, dass die Morde mit aller Konsequenz zügig aufgeklärt werden: „Das sind wir den Opfern, ihren Familien und Freunden schuldig.“ Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) versprach umfassende Aufklärung.
In der zeitweise kontroversen Bundestagsdebatte warf die Opposition der Bundesregierung vor, Rechtsextremismus jahrelang verharmlost zu haben. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, er empfinde Trauer, Scham und Wut. Die Morde seien ein Angriff „auf die Art und Weise, wie wir in diesem Lande zusammenleben, ein Angriff auf uns alle, auf das demokratische Gemeinwesen selbst“. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte, Verfassungsschützer betrieben teilweise Kumpanei mit der rechtsextremen Szene.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast forderte: „Wir wollen Untersuchungsausschüsse und schriftliche Berichte.“ Sie sprach von einer „Legitimationskrise der Sicherheitsbehörden“, die viel zu sehr auf den Linksextremismus fixiert seien. „Man hätte wissen und sehen können.“ So zähle die im Kampf gegen Rechtsextremismus aktive Amadeu-Antonio-Stiftung etwa 182 Tote rechtsextremistischer Gewalt seit 1992. Viele davon tauchten in offiziellen Statistiken nicht auf.
Innenminister Friedrich sagte mit einem Verbot der NPD wäre der geistige Sumpf zwar nicht ausgetrocknet, aber es könne verhindert werden, dass die Partei Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung bekomme. Ein erster Anlauf für ein Verbot war 2003 gescheitert. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) versicherte, Gefahren für den Rechtsstaat würden nicht verharmlost. „Auf keinem Auge sind wir blind“, sagte sie.
Die Bundesregierung erwägt eine Entschädigung von rund 10 000 Euro für die einzelnen Familienangehörigen. Das Geld solle aus einem Fonds kommen, der 2011 mit einer Million Euro gefüllt ist. Leutheusser-Schnarrenberger sagte dem Sender hr-Info, sollte mehr Geld benötigt werden, könne dies auch überplanmäßig ermöglicht werden. Für die Tochter eines der Neonazi-Mordopfer aus Nürnberg sind die derzeit debattierten 10 000 Euro „beleidigend“. Das wiege den Verlust des Vaters und die Jahre ohne ihn nicht auf, sagte Semiya Simsek der Nachrichtenagentur dpa. Sie begrüßte aber eine mögliche Trauerfeier: „Es ist schön, wenn man allen Opfern so gedenkt.“ Simseks Vater, ein Blumenhändler, war im Jahr 2000 ermordet worden.
Das Parlamentarische Bundestagsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste tagt an diesem Mittwoch in einer Sondersitzung. Am selben Tag nimmt in Erfurt eine Untersuchungskommission zur rechtsextremen Terrorzelle ihre Arbeit auf. Die Bundesanwaltschaft legt den drei aus Jena stammenden Rechtsextremisten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Gründung einer terroristischen Vereinigung und zehn Morde zur Last. Zudem haben die Ermittler weitere Verdächtige und Beschuldigte im Visier. Opfer der Mordserie zwischen 2000 und 2007 waren acht türkischstämmige und ein griechischer Kleinunternehmer sowie eine Polizistin.
Die Koalition will die Mittel für Initiativen gegen Rechtsextremismus entgegen früherer Planungen nicht kürzen. Dies sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) zu. Der Etat für Projekte sollte im Haushalt 2012 um zwei Millionen auf 22 Millionen Euro gekürzt werden. Nun werde ein Änderungsantrag bei den Haushaltsberatungen eingebracht, nach dem es bei 24 Millionen bleibe, hieß es in der Union. Da wie geplant bei Verwaltungskosten gespart werde, ohne dass es dadurch weniger Geld für die Initiativen gebe, bekämen diese faktisch eine höhere Förderung als bisher.
Allerdings lehnte die Koalition die Forderung der Grünen ab, auf die „Extremismusklausel“ zu verzichten. Vereine oder Gruppen, die im Kampf gegen Rechts Förderung beantragen, müssen bezeugen, dass sie und ihre Mitarbeiter und Partner für die freiheitliche Grundordnung einstehen. Die Opposition moniert, die Arbeit von Anti-Nazi-Initiativen werde erschwert.