Bundestag verabschiedet neues Wahlrecht
Berlin (dpa) - Nach monatelangem Tauziehen hat der Bundestag ein neues Wahlrecht verabschiedet, das den vollständigen Ausgleich aller Überhangmandate vorsieht.
Der von Union, SPD, FDP und Grünen ausgehandelte Kompromiss fand bei der Abstimmung am Donnerstagabend eine breite Mehrheit. Die Reform greift schon bei der Wahl im kommenden September.
Damit wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, das im vergangenen Jahr die hohe Zahl von möglichen Überhangmandaten beanstandet hatte. Dieses Problem sieht Unions-Fraktionsvize Günter Krings (CDU) jetzt beseitigt: „Alle Experten haben die Verfassungsgemäßheit des Gesetzentwurfes bestätigt.“ Kritiker befürchten allerdings, dass die jetzt gefundene Lösung zu einer massiven Vergrößerung des Parlaments führt. Die Linke stimmte deshalb als einzige Fraktion gegen den Kompromiss.
Überhangmandate entstehen dann, wenn die Zahl der gewonnenen Direktmandate einer Partei größer ist als die Zahl der Sitze, die ihr nach dem Zweitstimmenanteil eigentlich zustehen. Auf diesem Wege hatten CDU und CSU bei der Wahl 2009 insgesamt 24 zusätzliche Sitze gewonnen. Doch das Bundesverfassungsgericht monierte im vergangenen Jahr die große Zahl an Überhangmandaten und entschied, dass es noch vor der nächsten Bundestagswahl ein neues Wahlrecht geben müsse.
Nach zähem Ringen verständigten sich die Parteien fraktionsübergreifend auf ein Modell, wonach es bei Überhangmandaten für eine Partei automatisch Ausgleichsmandate für alle anderen im Parlament vertretenen Parteien gibt. Der Verein „Mehr Demokratie“, der zu den erfolgreichen Klägern vor dem Verfassungsgericht gehörte, sieht in dieser Reform einen ersten Schritt zu größerer Bürgernähe. Damit werde der Wählerwille besser abgebildet als bisher.
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, betonte: „Jede Stimme hat im neuen Wahlrecht das gleiche Gewicht.“ Künftig entschieden nur noch die Wähler mit ihrer Zweitstimme über die Zusammensetzung des Bundestags und nicht mehr irgendwelche Absurditäten des Wahlrechts.
Der Vorteil der jetzt beschlossenen Neuregelung: Das Größenverhältnis der Fraktionen zueinander bleibt auch dann erhalten, wenn eine Partei überdurchschnittlich viele Überhangmandate auf sich vereint. Der Nachteil: Das Parlament wird möglicherweise deutlich größer. Statt der aktuell 620 Abgeordneten könnten dem nächsten Bundestag im Extremfall mehr als 800 Parlamentarier angehören.
Deshalb ist nicht auszuschließen, dass das Gesetz nach der Wahl im Herbst erneut überarbeitet wird. Der Verein „Mehr Demokratie“ rät etwa zu einem Wahlrecht, das komplett auf Überhangmandate verzichtet. Auch Volker Beck von den Grünen machte sich in der Parlamentsdebatte für eine erneute Reform stark, falls der Bundestag tatsächlich zu stark anwachsen sollte: „Das ist nicht gut für die Arbeitsfähigkeit und auch nicht gut für die Akzeptanz dieses Parlaments in der Bevölkerung.“