Merkel-Nachfolge CDU debattiert über den „Mythos Merz“
Berlin · Friedrich Merz kündigt offiziell seine Kandidatur für den Vorsitz an. Unterdessen werden bei den Christdemokraten Forderungen nach einer Verjüngung der Führung und inhaltlicher Erneuerung laut.
Am Tag nach dem angekündigten Rückzug von Angela Merkel hat die Personaldebatte in der CDU deutlich an Fahrt gewonnen und sich ausgeweitet. Mittlerweile gibt es nicht nur offiziell drei ernstzunehmende Kandidaturen für die Nachfolge der CDU-Chefin, es werden auch Rufe nach einer umfassenderen Erneuerung und Verjüngung laut.
Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz kündigte seine Bewerbung für den CDU-Vorsitz an. Er habe sich „nach reiflicher Überlegung“ entschieden, auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember in Hamburg zu kandidieren, erklärte der 62-jährige Wirtschaftsanwalt in einer schriftlichen Mitteilung. „Wir brauchen in der Union Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspersönlichkeiten.“
Der Wirtschaftsflügel erhofft sich einen „Ruck“
Vom Wirtschaftsflügel wurde sofort Unterstützung signalisiert. Merz könne der CDU „den Ruck geben, der dringend notwendig ist“, sagte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, Christian von Stetten. „Er ist der Richtige, um der CDU, ihren Mitgliedern und ihren Anhängern den Stolz zurückzugeben, der in den vergangenen Jahren verlorengegangen ist.“
Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, sagte, Merz habe als Fraktionsvorsitzender immer alle verschiedenen innerparteilichen Positionen gut integriert „und auch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stark berücksichtigt.“
Gegen Merz gibt es allerdings auch massive Vorbehalte. Zum einen, weil er ein scharfer Rivale Merkels ist, die ihn 2002 als Fraktionschef verdrängt hatte. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger sagte, ohne Merz namentlich zu erwähnen, wer glaube, er könne „am ersten Tag gegen die Kanzlerin arbeiten, der hätte mit Sicherheit seinen Job verfehlt.“ Andere wiesen darauf hin, dass Merz schon seit 13 Jahren nicht mehr in vorderer Reihe politisch aktiv ist. So Thüringens CDU-Chef Mike Mohring: „Ich bin ein Fan von Friedrich Merz. Aber Merz ist Mythos“. Auch wurde in der Partei kritisch auf Merz‘ Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied der US-Fondsgesellschaft Black Rock hingewiesen.
Schon am Montag hatten CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn ihre Kandidatur erklärt. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hält sich eine Bewerbung für den Posten weiterhin offen und sondiert die Lage in Telefonaten mit anderen Landeschefs. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, selbst Parteivize, sagte am Montagabend, letztlich werde sich der Kandidat durchsetzen, der „am überzeugendsten integrieren kann“.
Ein anderes Kriterium nannte der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries: Bei bürgerlichen Wählern existiere aktuell eine tiefe Sehnsucht nach Spitzenpolitikern mit klarem Profil, Prinzipientreue und „Leidenschaft in der Vermittlung“. Unter dem Strich sprach sich de Vries für Jens Spahn aus.
Am Sonntag setzt sich der CDU-Bundesvorstand zu einer schon länger geplanten Klausur zusammen, um den Hamburger Parteitag vorzubereiten. Auf dem bahnt sich inzwischen eine umfassendere Personaldebatte an. Denn auch alle anderen Mitglieder des Parteivorstandes müssen turnusmäßig neu gewählt werden.
Dem Vernehmen nach wollen die bisherigen fünf Stellvertreter im Amt bleiben; Gegenkandidaturen gibt es hier bisher nicht. Laschet könnte allerdings eine Position freimachen, wenn er Vorsitzender werden sollte. Bei den sieben weiteren Präsidiumsmitgliedern gilt als wahrscheinlich, dass Ex-Innenminister Thomas de Maizière nicht wieder antritt. Wohl mit Blick auf diesen Posten schlug Saar-Ministerpräsident Tobias Hans gegenüber unserer Redaktion vor, entweder Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer oder Mike Mohring aufsteigen zu lassen.
Unabhängige Kandidaten fordern Direktwahl
Der rheinland-pfälzische CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Baldauf hält zudem eine inhaltliche Neu-Positionierung für erforderlich. „Dazu kann ein personeller Neuanfang beitragen, aber er ist lange nicht alles“, sagte Baldauf. Ähnlich äußerte sich auch der Wirtschaftsrat. Zwei unabhängige Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz, der hessische Unternehmer Andreas Ritzenhoff und der Bonner Staatsrechtler Matthias Herdegen, forderten darüber hinaus, die Parteimitglieder über den Vorsitz abstimmen zu lassen. „Eine Direktwahl des CDU-Vorsitzenden würde der Basis eine Stimme geben und der gärenden Partei Sauerstoff zuführen“, so Herdegen.