Coronavirus in Ungarn Der Notstands-Diktator

Budapest · Der Kampf gegen das Coronavirus zwingt Regierungen weltweit zu außerordentlichen Maßnahmen. Viktor Orban will sich dafür einen Blanko-Scheck ausstellen lassen. Viele in Ungarn fürchten eine Art Notstands-Diktatur.

Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, hält seine Rede im Parlamentsgebäude über den aktuellen Stand des Coronavirus-Ausbruchs während einer Plenarsitzung.

Foto: dpa/Tamas Kovacs

Vor dem Hintergrund der globalen Corona-Pandemie will sich Ungarns machtbewusster Ministerpräsident Viktor Orban durch ein beispielloses Gesetz umfassende Vollmachten geben lassen. Das ungarische Parlament debattierte am Dienstag einen Gesetzentwurf, der es Orban ermöglichen würde, für unbegrenzte Zeit und ohne parlamentarische Kontrolle auf dem Verordnungsweg zu regieren.

Das Gesetz soll dafür sorgen, „dass die Regierung alle zur Eindämmung beziehungsweise Abwehr der Folgen der Covid-19-Pandemie nötigen außerordentlichen Maßnahmen treffen kann“, heißt es in der Einleitung des Entwurfs. Dabei, so die Vorlage, könne sie „die Anwendung einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen Bestimmungen abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen treffen“.

Die Dauer dieser Vollmachten ist nicht konkret begrenzt - sie bemisst sich daran, wie lange die Regierung den Pandemie-Notstand als gegeben ansieht. Die Regierung ist auch nicht auf das Parlament angewiesen, das aufgrund der Pandemie am Zusammentreten gehindert sein könnte. Kriterien dafür, wann das Parlament als verhindert anzusehen ist, enthält der Gesetzentwurf nicht.

Das Gesetz wird voraussichtlich Anfang nächster Woche beschlossen. Orbans Regierungspartei Fidesz verfügt im Parlament über die dafür nötige Zweidrittelmehrheit. In der Debatte am Dienstag kritisierten Abgeordnete der Opposition vor allem, dass es keine Garantien und Fristen gebe. Fidesz-Abgeordnete betonten, dass die Regierung die Vollmachten brauche, um das Land sicher durch die Pandemie-Krise zu steuern.

Weitere Bestimmungen des geplanten Gesetzes beinhalten, dass während des Pandemie-Notstands keine Wahlen und Referenden stattfinden dürfen. Außerdem werden die Strafen für Verstöße gegen Quarantänebestimmungen sowie für die Verbreitung von Falschnachrichten massiv verschärft.

Vor allem letztere Regelung ist Kritikern zufolge bewusst schwammig formuliert. So kann jemand, der eine wahre Tatsache auf eine Weise wiedergibt, die dazu angetan ist, „größere Gruppen von Menschen zu beunruhigen“, mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden.

Journalisten könnten da schnell unter Druck geraten. Erfährt etwa ein Reporter von Ärzten, dass es in den Krankenhäusern nicht genügend Schutzausrüstungen gibt, und schreibt er das wahrheitsgemäß in seinem Bericht, könnte er sich womöglich eine Gefängnisstrafe einhandeln. Denn ein solcher Bericht könnte tatsächlich viele Menschen beunruhigen. In den regierungsnahen Medien werden immer wieder Forderungen nach Verhaftung von Journalisten erhoben, die die Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Pandemie beanstanden.

Ein Gesetz, das der Regierung keine zeitlichen Einschränkungen auferlegt und ihr einen Freibrief für jedes Handeln ausstellt, ist tatsächlich in ganz Europa beispiellos. Hinzu kommt Orbans Neigung, auch in normalen Zeiten gerne autoritär durchzuregieren. In den zehn Jahren seiner Herrschaft ließ er unabhängige Medien unterdrücken, schränkte er die Unabhängigkeit der Justiz ein, ließ Zivilorganisationen gesetzlich diskriminieren und trieb eine US-geführte, liberale Universität aus dem Land.

In der EU läuft wegen der mutmaßlichen Einschränkung von Bürger- und Grundrechten ein Grundwerteverfahren gegen Ungarn, das theoretisch zum Entzug der Stimmrechte in der Union führen kann. „Die letzten zehn Jahre haben eindeutig erwiesen, dass die ungarische Regierung jede Situation, in der sie Kontrollinstanzen zu schwächen vermag, missbraucht“, schrieb der Budapester Think-tank Political Capital. Jetzt befürchten viele in Ungarn, dass sich Orban zu einer Art Notstands-Diktator aufschwingen könnte.

(dpa)