Der Freund hört mit — mitten in der Hauptstadt

Seit zehn Jahren wird das Telefon von Angela Merkel abgehört: US-Präsident Obama soll nichts davon gewusst haben.

Berlin. Die US-Abhörpraxis weitet sich immer mehr zu einem politischen Skandal ersten Ranges aus.

Galt es bis vor kurzem noch als unvorstellbar, dass der Geheimdienst NSA das Handy der Bundeskanzlerin angezapft haben könnte, stellt sich nun die Frage, ob US-Präsident Barack Obama bereits seit drei Jahren darüber Bescheid wusste.

Eine NSA-Sprecherin dementierte das am Sonntag: NSA-Chef Keith Alexander habe „niemals über eine sie (Merkel) betreffende Operation gesprochen“. Gegenteilige Informationen seien falsch.

In Berlin wächst dennoch die Empörung. Zugleich wird über mögliche Konsequenzen diskutiert. Als Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich Mitte Juli in Washington persönlich um Aufklärung über die bis dato bekanntgewordenen Schnüffelattacken der NSA nachsuchte, schien sich die Angelegenheit in Wohlgefallen aufzulösen.

„Zufrieden“ kehrte er damals nach Berlin zurück. Am Sonntag war ein ganz anderer Friedrich zu hören: „Das Vertrauen in den Bündnispartner USA ist erschüttert“, klagte der CSU-Mann. „Abhören ist eine Straftat, und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Nur, wie soll das gehen, wenn die Verantwortlichen in den USA sitzen, oder in Berlin womöglich diplomatischen Schutz genießen? Nach Recherchen des „Spiegel“ soll sich eine Elite-Truppe namens „Special Collection Service“ (SCS) aus der US-Botschaft am Brandenburger Tor heraus um Merkels Telefon gekümmert haben.

Und das schon seit gut zehn Jahren, wie das Nachrichtenmagazin mit Verweis auf ein geheimes NSA-Dokument schreibt. Demnach wäre Merkel schon als Oppositionsführerin und CDU-Chefin im Visier aus Übersee gewesen.

Der US-Präsident soll davon seit 2010 gewusst haben. „Obama hat die Aktion damals nicht gestoppt, sondern weiter laufen lassen“, zitierte die „Bild am Sonntag“ einen mit der NSA-Operation vertrauten Geheimdienstmitarbeiter.

Dem Bericht zufolge sollen die USA auch das für abhörsicher gehaltene Dienst-Handy der Kanzlerin geknackt haben. Bislang war nur von einem Handy die Rede gewesen, das Merkel zur Klärung von CDU-Angelegenheiten nutzt.

Angeblich will der im Kanzleramt für die Geheimdienste zuständige Spitzen-Beamte Günter Heiß noch in dieser Woche in die US-Hauptstadt reisen, um die Zusage für ein „No-Spy-Abkommen“ zu erhalten, das ein gegenseitiges Abhören ausschließt. Von einem solchen Vertrag war schon im Sommer die Rede gewesen, doch die USA sind dabei nicht als Motor aufgefallen.