Die letzte große Mission des Außenministers Westerwelle
Guido Westerwelle (FDP) wird nicht mehr lange das Auswärtige Amt leiten. In Kiew dreht er noch einmal das ganz große Rad.
Kiew. Plötzlich steht er da im Gang des Flugzeuges, in der dunkelgrauen Wolljacke für unterwegs, die linke Hand in der Hosentasche, und legt los.
Guido Westerwelle spricht über eine höchst komplizierte diplomatische Gemengelage, in der die EU und Russland darum rangeln, das zweitgrößte Land des Kontinents, die Ukraine, auf ihre jeweilige Seite zu ziehen.
Und mittendrin der Fall Julia Timoschenko, die inhaftierte ehemalige Ministerpräsidentin, die schwer krank ist. Und immer wieder sagt Westerwelle, dass es hier um eine „strategische“, sogar „geostrategische“, in jedem Fall „historische Frage“ geht.
Also ein Job für den 51-jährigen FDP-Politiker. Guido Westerwelle kann nicht bescheidener. Auch nicht jetzt, da er abgewählt ist. Er erledigt seinen Job professionell bis zum Schluss, er will ihn, wie er es formuliert, anständig zu Ende bringen.
In seinem Amt haben sie eine echte Veränderung nicht bemerkt. Morgens finden die Presseunterrichtungen wie gewohnt statt. Und keiner weiß etwas über künftige Pläne. „Wirtschaft“, tippt ein enger Mitarbeiter. „Erst mal eine längere Auszeit“ ein anderer. Politik sagt keiner. Und das bei einem, der die FDP fast 20 Jahre lang geprägt hat.
Am Tag nach dem Wahldesaster der FDP flog der Noch-Außenminister wie geplant zur UN-Vollversammlung. Er ließ sich in New York nicht anmerken, dass seine eigene Welt gerade zerbrochen war.
Kurz danach war er in Bonn und wickelte sein Wahlkreisbüro ab. Danach ein letzter Besuch in Afghanistan. Während der Ukraine-Reise erörtern einige seiner Mitarbeiter mit den Journalisten Nachfolger-„Hitlisten“. Im Moment liegt Ursula von der Leyen vorne, vor Wolfgangs Schäuble (beide CDU).
Der Besuch in Kiew ist wahrscheinlich der letzte ernsthafte Auftrag für Westerwelle. Konkret naht der EU-Gipfel am 22. November in Vilnius, bei dem Europa entscheiden muss, ob es die Ukraine als assoziierten Partner akzeptiert.
Westerwelle soll mit dafür sorgen, dass das klappt. Aber das Treffen selbst wird er wahrscheinlich nur noch am Fernseher verfolgen können. Es ist ein großes Rad, an dem er da noch einmal dreht.
Tatsächlich dauert das Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Victor Janukowitsch fast eineinhalb Stunden, viel länger als geplant. Einer der Knackpunkte ist die unerbittliche Fehde zwischen Timoschenko und Janukowitsch. Sie könnte den Prozess der Annäherung der Ukraine an Europa verhindern.
In dem Konflikt hat sich Westerwelle persönlich engagiert, worauf er mehrfach hinweist. Sein Angebot an Janukowitsch: Ausreise der bereits verurteilten Ex-Ministerpräsidentin zur medizinischen Behandlung nach Berlin, und zwar „aus humanitären Gründen“. Es ist eine Formel, mit der der Präsident sein Gesicht wahren kann.
Aber auch Timoschenko muss mitspielen; sie darf die Situation nicht ausnutzen, um über den Präsidenten zu triumphieren. Westerwelle traf deshalb am Freitag auch die Tochter Jevgenija.
Und zwischendurch Box-Weltmeister Vitali Klitschko, der in der Ukraine eine bürgerliche Partei führt. Zum letzten Mal erledigt Westerwelle den Job der Pendeldiplomatie, der Alltag und zugleich die hohe Kunst der Außenpolitik ist.