Ein anderer Blick auf den Altkanzler

Persönliches und Pikantes: Journalist Heribert Schwan stellt seine umstrittene Kohl-Biografie vor.

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Am 5. Juli 2001 starb Hannelore Kohl im Alter von 68 Jahren durch Selbstmord. 16 Tage danach traf sich der Journalist Heribert Schwan mit Ehemann Helmut, um mit ihm erneut über dessen Memoiren zu sprechen. Steckte der Altkanzler damals in einer persönlichen Krise?

Für Kohl habe es keine Krisen gegeben, berichtete Schwan am Dienstag auf einer Pressekonferenz zu seinem viel diskutierten Buch „Vermächtnis — die Kohl-Protokolle“. Der Tod seiner Frau habe sein Weltbild nicht verändert. Stattdessen prügelte der Pfälzer bei dem Treffen munter auf „seine missratene Brut“ ein, wie es im Buch heißt.

Darf man das aufschreiben? Darf man ausplaudern, wie Kohl in vertrauter Stunde tickte, was er bei ellenlangen Gesprächen im Oggersheimer Bungalow-Keller an Unflätigem von sich gab? Zweifellos bietet Schwan sozusagen den Blick durchs Schlüsselloch, das hat etwas Heikles, Anrüchiges.

Es wirkt wie ein Vertrauensbruch. Und schnell treten auf der Pressekonferenz auch die Kohl-Verteidiger auf: Es sind Journalisten, die immer ein enges Verhältnis zum Altkanzler gepflegt haben. Sie werfen Schwan vor, geistiges Eigentum verletzt und Regeln der Vertraulichkeit gebrochen zu haben. Andere, die Kohl jahrelang hautnah erlebten, sagen: „So war er.“

Schwan rechtfertigt sich: Es habe keine Schweigepflicht gegeben. Der ehemalige CDU-Patriarch soll Schwan erlaubt haben, die Dinge aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Irgendwann sagt der Autor aber auch: „Nach seinem Tod.“ Dazu äußern will oder kann sich der heute 84-Jährige Altkanzler wohl nicht mehr, er ist krank, das Sprechen fällt ihm schwer. Alle Anfragen zum Buch schmettert das Büro Kohls jedenfalls ab.

Von 2001 bis 2002 trafen sich der Journalist und der Politiker, dabei entstanden 200 Tonkassetten. Gerichtlich hat Kohl die Herausgabe der Bänder erreicht. Schwan hat aber zuvor Kopien angefertigt. Daraus sind 256 Seiten Buch entstanden. Schon seit langem ringen die Anwälte beider Seiten darum, was in den Geschichtsbüchern stehen darf und was nicht.

Man liest vieles, was sehr ins Persönliche geht: Über Merkels Probleme mit „Messer und Gabel zu essen“ und über die „Verräter“ Heiner Geißler und Norbert Blüm. Kohls Lieblingsschimpfwörter sollen „hinterfotzig und dreckig“ gewesen sein. Ein wichtiger Aspekt ist auch Kohls Verdruss darüber, in der Öffentlichkeit „der Provinzler“ gewesen zu sein. Die Verfasser glauben, dass man bei der Lektüre „Abscheu und Sympathie“ empfindet, auch mal „laut loslachen“ könne. Das stimmt. Ein gänzlich neues Bild von Helmut Kohl bekommt man jedoch nicht.