Energiewende sorgt für neuen Zündstoff in der Koalition
Berlin (dpa) - Die Energiewende treibt einen neuen Keil in die schwarz-gelbe Koalition. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) dringt auf eine Lockerung der europäischen Umweltstandards, um den Bau von Stromautobahnen zu erleichtern, und hat sich deshalb bereits an die EU-Kommission gewandt.
Umweltminister Peter Altmaier (CDU) hält solche Eingriffe für unnötig. Ärger droht auch an anderer Stelle: Um den Ausbau von Offshore-Windparks zu beschleunigen, sollen die Verbraucher die Kosten für Verzögerungen beim Netzanschluss über den Strompreis mittragen.
Bei einem Spitzentreffen in Berlin stieß ein entsprechender Vorschlag von Rösler und Altmaier am Mittwoch auf breite Zustimmung bei Bundesländern und Netzbetreibern. Wenn das Bundeskabinett die Haftungsregelung noch im Sommer verabschiede, sei der Weg frei für Milliardeninvestitionen in die Offshore-Windenergie, betonte Rösler.
Verbraucherschützer warnen hingegen, dass der Strompreis damit weiter in die Höhe schnellt. Auch Altmaier (CDU) schließt einen weiteren Anstieg nicht aus: „Aber alle wussten beim Ausstieg aus der Kernenergie, dass die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben ist.“
Der Ausbau der Offshore-Windenergie ist ein wichtiger Pfeiler der Energiewende. Bis 2030 sollen 15 Prozent des Strombedarfs über Windräder in Nord- und Ostsee gedeckt werden. Der Ausbau kommt jedoch kaum in Schwung, als eines der größten Probleme gilt die mangelhafte Anbindung der Anlagen an das Festlands-Stromnetz. Die Stromerzeuger verlangen dringend Klarheit darüber, wer dafür haftet, wenn die Anlagen stehen, aber nicht ans Netz gehen können.
Rösler und Altmaier hatten Anfang Juli Eckpunkte für eine Haftungsregelung vorgelegt: Sie plädieren dafür, dass die Verbraucher Schadenersatzkosten in solchen Fällen über den Strompreis mitzahlen sollen, sofern die Netzbetreiber den Ausbau nicht fahrlässig verzögert haben. Bei der Finanzierung der Netzanschlüsse sieht Rösler aber in erster Linie die Netzbetreiber in der Verantwortung. Ein staatliches Engagement könne allenfalls ein letztes Mittel sein, sagte der FDP-Chef nach dem Treffen.
Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) forderte hingegen, notfalls müsse auch über die Gründung eines staatlichen Netzbetreibers nachgedacht werden. „Mir scheint, der Bund hat keine klare Perspektive und der Netzbetreiber hat sie auch nicht. Deshalb muss das Thema staatliche Netzagentur oder staatliche Beteiligung auf den Tisch.“
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen warnt vor weiteren Offshore-Windparks, weil die technischen Risiken und damit die Risiken für die Verbraucher zu groß seien. Schon jetzt sei absehbar, dass die Umlage für die Erneuerbaren Energien um weitere 1,5 Cent pro Kilowattstunde steigen müsse, sollten die Pläne der Bundesregierung verwirklicht werden, sagte Energieexperte Holger Krawinkel im rbb-Inforadio.
Zum neuen Zankapfel könnte sich Röslers Plan entwickeln, die europäischen Umweltstandards zu locken, um den Bau von Stromautobahnen zu beschleunigen. Dazu habe er sich bereits an EU-Kommissar Günther Oettinger und andere Vertreter der EU-Kommission gewandt, sagte der Wirtschaftsminister. Ziel sei es, die Bauplanungszeiten für Stromtrassen von zehn auf vier Jahre zu reduzieren.
Altmaier sagte dagegen im MDR: „Ich setze darauf, dass wir im Gespräch mit den Beteiligten zu einer vernünftigen Lösung kommen.“ Außerdem würde eine Änderung der Gesetze in Brüssel Monate oder sogar Jahre dauern.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz warnte die Bundesregierung davor, die Energiewende zu zerreden und das Vertrauen der Investoren zu untergraben. „Nur wenn der Energieverbrauch entscheidend sinkt, wird dieses Land den Umstieg auf erneuerbare Energien schnell und kostengünstig schaffen“, sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger.