Krankengeld Experten für neue Wege bei Lohnersatzleistung
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht darin "wichtige Anstöße" - besonders, um die gestiegenen Kosten einzudämmen, bleibt aber zurückhaltend.
Berlin. Bislang gilt in Deutschland: Entweder 100 Prozent krank, oder voll arbeitsfähig. Dabei könnte mancher verkürzt jobben, sozusagen als Teilzeitkranker. Ein Montag veröffentlichtes Gutachten des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen rät deshalb zu einem Teilkrankengeld. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht darin "wichtige Anstöße" - besonders, um die gestiegenen Kosten einzudämmen.
Wie hat sich das Krankengeld entwickelt?
Die Ausgaben der Krankenkassen für das Krankengeld, das in der Regel nach der sechsten Woche einer Arbeitsunfähigkeit greift und den letzten Bruttolohn für maximal 78 Wochen zu 70 Prozent ausgleicht, sind seit 2006 etwa doppelt so schnell gestiegen wie die Gesundheitsausgaben insgesamt. Damals wurden noch 5,7 Milliarden Euro für das Krankengeld verausgabt. Im vergangenen Jahr waren bereits 10,6 Milliarden Euro. Das entspricht einer Kostensteigerung von durchschnittlich 8,1 Prozent pro Jahr.
Woher rührt der Kostenschub?
Nach Einschätzung der Sachverständigen geht der Anstieg in erster Linie auf "politisch erwünschte Entwicklungen" zurück. So zogen höhere Durchschnittseinkommen und die gestiegene Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch höhere Krankengeldausgaben nach sich. Kostensteigernd wirkte auch die Tatsache, dass die Belegschaften in den Betrieben immer älter werden. Zugleich sind Krankheiten wie Rückenschmerzen und psychische Leiden auf dem Vormarsch, die zumeist deutlich länger dauern als sechs Wochen, in denen der Lohn noch durch den Arbeitgeber weiter gezahlt wird.
Was schlagen die Experten konkret vor?
Kern ist die Einführung eines Teilkrankengeldes, wie es schon in Skandinavien praktiziert wird. So beurteilt etwa die schwedische Sozialkasse, in welchem Maße ein Erkrankter noch seinen Job ausüben kann. Die Einstufung in Deutschland, so die Experten, könnte auf 75, 50 oder 25 Prozent Arbeitsunfähigkeit lauten, was mit einer entsprechenden Reduzierung der Arbeitszeit einhergeht. Diese Festlegung sollte aber im Konsens zwischen Patient und Arzt erfolgen, betonte Gremiums-Chef Ferdinand Gerlach.
Was besagt das "Hamburger Modell"?
Bislang können Langzeitkranke in Deutschland frühestens nach sechs Wochen wieder schrittweise in den Job zurückkehren. Bei diesem so genannten Hamburger Modell kommen die Krankassen voll für den Lohnersatz auf. Künftig sollte der Anteil für die geleistete Arbeit von den Arbeitgebern beglichen werden, schlagen die Experten vor. Wenn möglich, auch schon vom ersten Krankheitstag an. Arbeitet ein "Teil-Kranker" zum Beispiel 50 Prozent, soll der Betrieb entsprechend zahlen. Der Rest vom Lohnersatz käme über das Teilkrankengeld.
Was sind für die Experten Fehlanreize?
Gegenwärtig beziehen zum Beispiel Arbeitsunfähige, deren Erkrankung über das Ende eines befristeten Jobs hinausreicht, weiter Krankengeld. Wer dagegen erst danach erkrankt, bekommt das niedrigere Arbeitslosengeld. Um die Ungleichbehandlung zu beseitigen, soll das Krankengeld nach Job-Ende in allen Fällen auf die Höhe des Arbeitslosengeldes begrenzt werden. Das reduziere auch den Anreiz eines möglichst langen Krankengeldbezugs, so die Experten.
Wie ist das politische Echo?
Eher zurückhaltend. Gesundheitsminister Gröhe hielt sich zu den einzelnen Vorschlägen bedeckt. Die Grünen mahnten, auf Patienten keinen Druck auszuüben. Gernot Kiefer vom Spitzenverband der Krankenkassen sprach gegenüber unserer Zeitung von "interessanten Vorschlägen", die man sich nun genau ansehe und dann bewerte. Ablehnend reagierten die Gewerkschaften: "Die Vorschläge sollten vom Kopf auf die Füße gestellt werden", sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach unserer Zeitung. "Erst muss die Wiedereingliederung der Kranken in die Arbeit wieder funktionieren. Erst dann kann man über ein gestuftes Verfahren für die Zahlung von Krankengeld nachdenken".