FDP-Parteitag verabschiedet Wahlprogramm
Nürnberg (dpa) - Mit einem Frontalangriff auf die Steuerpläne von Rot-Grün will die FDP auch nach der Bundestagswahl an der Regierung bleiben.
Parteichef Philipp Rösler machte auf einem Sonderparteitag am Wochenende in Nürnberg deutlich, dass für die FDP auch nach dem 22. September nur eine neue schwarz-gelbe Koalition infrage komme. Die Mehrbelastungen bei einem Wahlsieg der Opposition bezifferte er auf über 40 Milliarden Euro. FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle hielt Rot-Grün einen gleichmacherischen „Öko-Sozialismus“ vor, der ganz Europa tiefer in die Schuldenkrise treiben würde.
Viereinhalb Monate vor dem entscheidenden Termin verabschiedeten die 660 Delegierten am Sonntag das FDP-Wahlprogramm. Es gab nur eine einzige Gegenstimme. Mit einer vorsichtigen Öffnung für Mindestlöhne bemüht sich die Partei um ein sozialeres Profil. Weitere Kernpunkte sind das Versprechen für einen stabilen Euro, der Abbau der Staatsschulden, die Einführung eines „Bürgergelds“ und die volle Gleichstellung von eingetragenen Homo-Partnerschaften mit der Ehe.
Das FDP-Spitzenduo forderte die Partei auf, sich von den anhaltend schlechten Umfragewerten (4 Prozent) nicht entmutigen zu lassen. Brüderle appellierte an die Parteibasis, jetzt den „Kampfanzug“ anzuziehen. Allen Beteuerungen zum Trotz würden SPD und Grüne nach der Wahl mit der Linkspartei paktieren, wenn dies möglich sei. „Schluss mit dem rot-rot-grünen Spuk. Keine Geisterstunde für Deutschland.“ Rösler sagte: „Eine Koalition mit SPD und Grünen ist bei deren Positionen überhaupt nicht denkbar.“
Beide FDP-Spitzenmänner vertraten die Ansicht, die schwarz-gelbe Regierungszeit seien vier gute Jahre für Deutschland gewesen. Vor allem die FDP habe die Koalition auf Kurs gehalten. „Wir machen die Union immer besser. Wir sind das Upgrade der Unionsparteien“, sagte Brüderle. Dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück hielt er vor, Europa mit Frankreichs Präsident François Hollande in eine „Schuldenunion“ führen zu wollen. Der ehemalige Finanzminister sei zum „sozialistischen Zauberlehrling“ geworden.
Wirtschaftsminister Rösler warnte, Steinbrück dürfe in Berlin „niemals“ wieder Regierungsverantwortung übernehmen. Ansonsten wäre eine Steuer-Mehrbelastung von mehr als 40 Milliarden Euro die Folge. Die Sozialdemokraten planten einen „kapitalen Raubzug durch die Mitte unserer Gesellschaft“. Den Grünen hielt er vor, zu einer Partei der „Tugendwächter“, „Spießbürger“ und „Fortschrittsfeinde“ geworden zu sein. Die FDP setzt darauf, unzufriedene Grünen-Anhänger für sich zu gewinnen, die Sorge vor höheren Steuern haben.
Der neuen Partei Alternative für Deutschland (AfD) hielt er vor, das Land mit einem Anti-Euro-Kurs in den „wirtschaftlichen Ruin“ und die „politische Isolation“ treiben zu wollen. Nach den Umfragen muss die FDP aufpassen, von der AfD nicht überholt zu werden. In Hessen gab ein FDP-Landtagsabgeordneter am Sonntag seinen Übertritt zur AfD bekannt.
Strittigstes Thema in Nürnberg war die Öffnung der Partei für Mindestlöhne in Branchen und Regionen, in denen bislang nur Dumping-Löhne gezahlt werden. Die FDP-Führung setzte sich erst nach kontroverser Debatte gegen mehrere Landesverbände durch. Schließlich segnete der Parteitag den neuen Kurs mit 57,4 Prozent ab. Zuvor hatten strikte Mindestlohn-Gegner wie der ostdeutsche Parteivize Holger Zastrow davor gewarnt, den FDP-„Markenkern“ aufzugeben. Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn lehnen die Liberalen weiter ab.
Weitere Bestandteile des Wahlprogramms sind der Abbau des Solidaritätszuschlags und ein Bekenntnis zum Ehegattensplitting. Die Stromsteuer soll sinken, die Förderung von Ökostrom radikal verändert werden. Eine starre Altersgrenze wie bei der Rente mit 67 hält die FDP für falsch. Arbeitnehmer sollen mit 60 Jahren frei über den Renteneintritt entscheiden können. Ferner will die FDP mehr Frauen in Führungsverantwortung, lehnt feste Quoten jedoch ab. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll erleichtert werden.
Aus der Opposition kam massive Kritik. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin bezeichnete die FDP als „parlamentarischen Arm weniger Wut-Reicher“. SPD-Vize Manuela Schwesig warf ihr wegen der Mindestlohn-Beschlüsse „plumpe Wählertäuschung“ vor.