Vor NSU-Prozess: Nebenkläger fordern umfassende Aufklärung

München (dpa) - Unmittelbar vor dem Beginn des NSU-Prozesses in München haben Nebenkläger eine umfassende Aufklärung der Hintergründe des Neonazi-Terrors gefordert.

Auch das Versagen staatlicher Stellen und das Umfeld des „Nationalsozialistische Untergrunds“ (NSU) müssten in dem Mordprozess behandelt werden, verlangten mehrere Nebenklage-Anwälte am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung. „Es geht nicht darum, in möglichst kurzer Zeit maximale Strafen zu erreichen, sondern um möglichst umfassende Aufklärung“, sagte die Münchner Anwältin Angelika Lex, die die Witwe eines Opfers vertritt.

Von diesem Montag (6. Mai) an sollen sich die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe sowie vier mögliche Helfer des NSU vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München verantworten. Zschäpe wird Mittäterschaft an sämtlichen Taten der Terrorgruppe vorgeworfen - darunter neun Morde an Geschäftsleuten türkischer und griechischer Herkunft, der Mord an einer Polizistin und zwei Sprengstoffanschläge. Mehr als 13 Jahre lang hatte Zschäpe mit ihren mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter falschen Identitäten gelebt. Mundlos und Böhnhardt hatten sich im November 2011 selbst getötet, um einer Festnahme zu entgehen.

„Wir glauben, dass der NSU eben nicht aus drei besonders gefährlichen Rechtsradikalen bestand“, sagte der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer. Mehr als 100 Personen stünden im Verdacht, die Gruppe unterstützt zu haben. Fraglich sei auch der Anteil von Ermittlungsbehörden und Nachrichtendiensten - etwa, ob es Zahlungen an V-Leute gab, die indirekt zur Finanzierung der Gruppe genutzt wurden, sagte Scharmer. „Das ist Thema, und wir werden es zum Thema machen. Man kann uns zulässige Fragen nicht verbieten. Insofern geht es uns nicht nur um die Tatschuld der Angeklagten.“

Bei den Angehörigen habe die Neonazi-Terrorserie zu einem erheblichen Verlust des Vertrauens in den Rechtsstaat geführt, sagte Anwältin Lex. Der Prozess sei eine „einmalige Chance“, dieses Vertrauen und den Rechtsfrieden wieder herzustellen. Auch Rechtsanwalt Scharmer formulierte hohe Erwartungen: „Wir erhoffen uns am Ende des Verfahrens nicht nur eine Verurteilung der Angeklagten, wir erhoffen uns nicht nur eine umfassende Aufklärung - wir erhoffen uns auch eine gesellschaftliche Diskussion über das Grundproblem der rechten Gewalt und über Rassismus in Deutschland.“

Die CDU-Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht, erhofft ebenfalls weitere Aufklärung der Hintergründe der Mordserie. Sie äußerte im Berliner „Tagesspiegel“ (Sonntag) die Hoffnung, „dass der Rechtsstaat mit seinen Möglichkeiten klare Zeichen setzt“. Um das Vertrauen der Hinterbliebenen der Opfer in den Rechtsstaat wieder herzustellen, benötige man „Eindeutigkeit, volle Transparenz und die volle Ausschöpfung der rechtsstaatlichen Mittel des Gesetzes“.

Die Polizei intensivierte derweil vor Prozessbeginn ihre Sicherheitsvorkehrungen in München. Beamte überwachten am Wochenende das Gelände um das Justizgebäude - es sei alles ruhig geblieben, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Rund 500 Polizisten sollen am Montag einen störungsfreien Prozessauftakt garantieren. Die Polizei hat nach eigenen Angaben derzeit keine Erkenntnisse über eine konkrete Gefahr - weder von rechten noch von linken Gruppen.

Zu den angekündigten Demonstrationen gegen Rassismus und rechte Gewalt beim Prozessauftakt erwarten die Veranstalter insgesamt rund 1000 Teilnehmer. Das „Bündnis gegen Naziterror und Rassismus“ will vor dem Gericht erneut an die Opfer der rassistisch motivierten Mordserie erinnern und einen konsequenten Kampf gegen Rechtsextremismus fordern. Weitere Veranstalter haben unter dem Motto „Zeig Haltung - Gemeinsam gegen Rassismus“ sowie „München bleibt bunt und wird nicht braun“ zu Kundgebungen aufgerufen. Auch der Türkische Volksverein will zum Prozessauftakt demonstrieren.