Grüne wollen Spitzensteuersatz erhöhen
Kiel (dpa) - Mit einem Spitzensteuersatz von 49 Prozent und einer befristeten Vermögensabgabe wollen die Grünen staatliche Handlungsfähigkeit zurückgewinnen und die Schuldenlast in den Griff bekommen.
Am Samstagabend beschloss der Bundesparteitag in Kiel mit großer Mehrheit eine Anhebung des Spitzensteuersatzes von derzeit 42 Prozent um sieben Prozentpunkte für Einkommen ab 80 000 Euro im Jahr.
Zudem soll eine zeitlich befristete Vermögensabgabe eingeführt werden: Reiche sollen mit einem Beitrag von 1,5 Prozent auf das Vermögen zur Kasse gebeten werden. 100 Milliarden Euro sollen so über zehn Jahre dem Bund zugutekommen. Mittelfristig wird auch die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer zugunsten der Länder angepeilt.
Cannabis-Produkte sollen nach dem Willen der Grünen legalisiert und hoch besteuert werden. Dies soll 2 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten auch Forderungen für eine ökologische Wende in der Wirtschaft. Umweltfreundliche Produkte sollen durch grüne Industriepolitik gestärkt werden. Die Forschung in Unternehmen bis 250 Mitarbeiter soll steuerlich gefördert werden. Die Grünen fordern einen Mindestlohn von 8,50 Euro.
„Wir müssen eine solide und solidarische Finanzpolitik nach dem Motto organisieren: Starke Schultern tragen, was schwache nicht tragen können“, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin am Samstag vor rund 800 Delegierten in Kiel. Öko-soziale Reformen sollen die Wirtschaft umweltfreundlich machen. Mit diesem Programm will sich die drittstärkste Kraft in Deutschland als Alternative zur Koalition, aber auch zur SPD empfehlen und 2013 wieder an die Regierung kommen.
Trotz Atomausstieg, Aussetzung der Wehrpflicht und Abschied von der Hauptschule seien Union und FDP im Kern reaktionär und rückwärtsgewandt, so Trittin. „Es reicht nicht, schwarze Mascara mit geklautem Grün zu ersetzen.“
Der Regierung und namentlich Unionsfraktionschef Volker Kauder warf Trittin fatale Fehler in der Euro-Krise und Arroganz vor. „Nachdem man über Wochen und Monate die Eurokrise durch Zögern und Zaudern verlängert und verteuert hat, ist der Herr Kauder zum Pöbeln und Kaudern übergegangen“, sagte er mit Blick auf Kauders Aussage, in Europa werde auf einmal deutsch gesprochen.
Die Koalition habe fünf Milliarden Euro an Großverdiener und an Hoteliers geschenkt. „Das ist nicht nachhaltig, das ist nicht deutsch, das ist einfach kommunalfeindlich und falsch“, sagte Trittin. Auch die geplanten weiteren Steuerentlastungen seien grundverkehrt. „Jetzt wird der Rettungsschirm für die FDP und CSU gespannt“, sagte Trittin. Das Programm der Grünen sehe Sparen Subventionsabbau und Einnahmeverbesserungen vor. Dafür fehle auch der SPD der Mut.
Anträge etwa der Grünen Jugend auf weitergehende Steuererhöhungen wurden von der Mehrheit des Delegierten abgelehnt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnte vor einer Überlastung für die Wirtschaft. Der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke, mahnte: „Überfordern Sie uns an dieser Stelle nicht.“
Plastiktüten sollen notfalls per Verbot abgeschafft werden. Als erster Schritt solle eine Umweltabgabe von 22 Cent für jede Tüte eingeführt werden. Das Ehegattensplittung soll abgeschmolzen, die Erbschaftssteuer erhöht werden. Geprüft werden soll, ob die Erbschaftssteuer in die Einkommenssteuer integriert wird. Die Gewerbesteuer soll zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer ausgebaut werden, unter Einbeziehung von Selbstständigen, der freien Berufe und der land- und forstwirtschaftliche Betriebe.
Die Abzugsfähigkeit von Gehältern soll auf 500 000 Euro beschränkt werden. Den Grundfreibetrag wollen die Grünen anheben. Sie wollen zudem eine Finanztransaktionssteuer einführen. Die Grünen wollen auch ein Konzept für eine neue Abgabe erarbeiten, die der Bildungsfinanzierung zugutekommen soll, den Bildungssoli.
„Jetzt fangen wir so richtig an“, sagte Fraktionschefin Renate Künast. Parteichef Cem Özdemir schwor die Grünen darauf ein, Partner für das Ziel einer „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“ auch bei den Unternehmen zu suchen.
Kretschmann setzte sich für einen „nationalen Konsens“ bei der Suche nach einem Atomendlager ein. Um diesen zu erreichen, habe Gorleben offen gelassen werden müssen. Dagegen forderten die Grünen per Resolution einen sofortigen Baustopp in dem Salzstock. Kretschmann stimmte seine Partei auf eine mögliche Niederlage der Gegner des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 bei der Volksabstimmung am Sonntag in Baden-Württemberg ein. Der Konflikt sei schon ein Erfolg gewesen. Eine Basis für mehr Bürgerbeteiligung sei gelegt.