Interview mit dem Alt-Kanzler Helmut Schmidt: Erwartungen an G7-Gipfel begrenzt - „Putin fehlt“

Helmut Schmidt empfängt im Hamburger „Zeit“-Büro. Während des Gesprächs raucht er seine geliebten „Reyno“-Mentholzigaretten. Der 96-Jährige hat bescheidene Erwartungen an den G7-Gipfel - und zeigt durchaus Verständnis für Putins Politik. an den G7-Gipfel - und zeigt durchaus Verständnis für Putins Politik.

Helmut Schmidt während des Interviews.

Foto: Christian Charisius

Hamburg. Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hält den am 7. Juni im bayerischen Elmau beginnenden G7-Gipfel ohne Teilnahme Russlands für nicht sinnvoll. „Meine Erwartungen sind begrenzt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf mögliche Ergebnisse des Treffens.

Frage: Die Welt schaut jetzt auf den G7-Gipfel, der in Deutschland stattfindet. Sind solche Gipfel von Staatsmännern und -frauen noch zeitgemäß oder nur noch Symbolpolitik?

Antwort: Sie könnten durchaus zeitgemäß sein, dann müsste man aber mindestens die Russen und Chinesen hinzuziehen. Man müsste auch andere Staaten hinzuziehen, man müsste Brasilien hinzuziehen, man müsste Südafrika hinzuziehen, man müsste Indien hinzuziehen. Es wäre dann also keine G7, keine G6 und keine G8, es wären dann G15, beinahe wären es G20. Ich habe nichts gegen Gipfel wie G20, aber ich habe etwas dagegen, dass diese ausgeschmückt werden zu Treffen von Tausenden Journalisten.

Frage: Das sehen wir naturgemäß etwas anders, aber natürlich fragen wir uns auch: Was sind eigentlich die Ergebnisse, die ein solcher Gipfel bringen kann? Haben Sie Erwartungen an den kommenden Gipfel?

Antwort: Meine Erwartungen sind begrenzt. Die Tatsache, dass diese Gipfel stattfinden und dass sie nicht Öl ins Feuer gießen, das erwarte ich. Und damit bin ich dann auch zufrieden.

Frage: Sie haben selbst eben angesprochen, dass Russland nach Ihrer Meinung am Gipfeltisch fehlt, neben den Chinesen. Würden Sie erwarten, dass Putin diese Einladung annimmt?

Antwort: Wenn sie in gehöriger Form ausgesprochen würde, dann ja.

Frage: Würden Sie davon auch eine Veränderung des Verhaltens des russischen Präsidenten zum Beispiel in der Ukraine-Krise ableiten?

Antwort: Das weiß ich nicht. Ich sehe deutlich, dass Putin beleidigt ist durch die Tatsache, dass seiner Vorstellung nach der Westen ihn nicht ernst genug nimmt.

Frage: Es gibt aber gleichzeitig eine Tendenz, ihn zu dämonisieren, eine sehr große Bedrohung. Was meinen Sie, sind die Motive Putins für seine Politik?

Antwort: Putin ist derjenige Mann, der nach der Wildwest-Periode unter Jelzin den russischen Staat wiederhergestellt hat. Das ist in seinen Vorstellungen seine Aufgabe. Und dieser russische Staat reicht von der Ostsee bis nach Wladiwostok und bis nach Kamtschatka und bis an den Stillen Ozean. Er hat ein Kolonialreich geerbt, das nie so geheißen hat. Wir reden vom englischen, vom französischen, vom spanischen, vom portugiesischen Kolonialreich, wir reden aber nicht vom russischen oder vom sowjetischen Kolonialreich. Sollten wir aber tun. Wir sollten begreifen, dass dieses Kolonialreich nicht auf Dauer von einem 140-Millionen-Volk beherrscht werden kann.

Frage: Wenn Sie daraus eine Empfehlung für die westliche Politik ableiten sollten, so es denn eine einheitliche westliche Politik überhaupt gibt: Wie könnte die aussehen? Erkennen Sie genug Verständnis für Putins Lage?

Antwort: Ob es eine gemeinsame westliche Politik geben kann, das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Was es geben könnte, wäre eine gemeinsame Politik der Europäer. Aber es sieht nicht danach aus. Es sieht nicht danach aus, dass die Griechen voller Begeisterung oder die Italiener voller Begeisterung oder die Zyprioten voller Begeisterung oder die Malteken voller Begeisterung mitmachen. Nicht einmal die Norweger.

Frage: Ist die Stärke Putins eine tatsächliche Stärke oder wird er von der Furcht vor dem Zerbrechen seiner Macht angetrieben?

Antwort: Es ist eine Stärke, von der der Inhaber dieser Stärke weiß, dass er sie nicht anwenden kann.