Immer mehr Arbeitslose rutschen direkt in Hartz IV
Nürnberg/Berlin (dpa) - Nach dem Verlust des Arbeitsplatzes rutschen immer mehr Menschen direkt in die Minimalabsicherung Hartz IV.
Inzwischen erhält nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) jeder vierte neue Erwerbslose nur noch Arbeitslosengeld II (Hartz IV), das in der Regel deutlich geringer ausfällt als das am früheren Einkommen orientierte Arbeitslosengeld I. Dies geht aus einer Analyse hervor, mit der die Bundesagentur am Donnerstag eine Debatte über die Neuordnung des Arbeitslosengeld-Systems auslöste. Über die BA-Analyse hatte zunächst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet.
Danach waren in den vergangenen zwölf Monaten (Stand Ende November) von den 2,8 Millionen Menschen, die sich nach dem Jobverlust als erwerbslos gemeldet hatten, 737 000 auf Hartz IV angewiesen - im Monatsdurchschnitt 61 000. Im November 2008 seien es dagegen nur 51 000 gewesen. Bei den Betroffenen handele es sich häufig um gering Qualifizierte, knapp ein Drittel sei zuvor als Leiharbeiter tätig gewesen, heißt es in dem Papier der Bundesagentur.
Sowohl der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, als auch Politiker von SPD und Union forderten am Donnerstag umgehend Konsequenzen. Schneider sprach sich für eine Untergrenze beim Arbeitslosengeld I aus. Die an der Höhe des letzten Gehalts orientierte Geldleistung sollte im Monat mindestens 750 Euro betragen.
Der Arbeitnehmerflügel der CDU sieht sich mit den jüngsten Bundesagentur-Daten in seiner Forderung nach gleichem Lohn für Zeitarbeiter bestätigt. Nur so könne verhindert werden, dass gering Qualizierte und Leiharbeiter mit Beginn der Arbeitslosigkeit direkt auf Hartz IV angewiesen seien, sagte der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann, in Interviews mit mehreren Medien. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte als Konsequenz erneut einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.
Dass Arbeitslose direkt ins staatlich finanzierte Hartz-IV-System abrutschen, hat nach Einschätzung der Bundesagentur mehrere Gründe: „Entweder war die Beschäftigungszeit zu kurz, um Ansprüche zu erwerben, oder das früher erzielte Lohneinkommen war zu niedrig, um mit dem daraus abgeleiteten Arbeitslosengeld-Anspruch den Bedarf zu decken, und muss mit Arbeitslosengeld II aufgestockt werden“, heißt es in der BA-Analyse.
Das Arbeitslosengeld I erhält nur, wer mindestens ein Jahr Beiträge in die Arbeitslosenversicherung bezahlt hat. Es wird in der Regel zwölf Monate ausgezahlt. Wer länger erwerbslos ist, erhält zu Sicherung seines Lebensunterhalts Hartz IV.
Das Bundesarbeitsministerium warnte unterdessen vor einer Fehlinterpretation der Zahlen. Die Entwicklung habe auch einen „positiven und begrüßenswerten Hintergrund“, betonte ein Sprecher laut Mitteilung. Das Phänomen beruhe hauptsächlich auf kurzfristigen Übergängen zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, die allein aufgrund deutlich besserer Beschäftigungschancen zunehmen. Überdies sei das Risiko, in Hartz IV abzurutschen, niemals niedriger gewesen als momentan.
Was die BA-Analyse dennoch deutlich macht: Beschäftigte mit guter Schul- und Berufsausbildung haben ein weitaus geringeres Risiko, mit dem Jobverlust zum Hartz-IV-Empfänger zu werden. Nur jeden fünften Qualifizierten habe dieses Schicksal in den vergangenen zwölf Monaten ereilt. Bei gering Qualifizierten, die arbeitslos werden, muss fast jeder Zweite sofort Leistungen der staatliche Grundsicherung beziehen. Besonders häufig seien arbeitslos gewordene Zeitarbeiter und Beschäftigte im Gastgewerbe bei einem Jobverlust auf Arbeitslosengeld II angewiesen.