Modernisierung des Islams Islamexpertin Kaddor drängt auf Modernisierung des Islams
Die von Extremisten bedrohte Autorin und Islamexpertin Lamya Kaddor geht ein heikles Thema an: Antisemitismus unter Muslimen.
Köln. Mit gut gemeinten Titeln wie „Muster-Migrantin“ oder „Vorzeige-Muslima“ kann die prominente Islamexpertin Lamya Kaddor wenig anfangen. Nicht besonders schmeichelhaft seien diese, findet sie. Die Gründerin des Liberal-Islamischen Bundes wird oft angefeindet von religiösen Eiferern, ist Morddrohungen von Extremisten ausgesetzt. Immer wieder packt sie heiße Eisen an. Im neuen autobiografischen Buch „Die Sache mit der Bratwurst“ drängt die Religionspädagogin mit syrischen Wurzeln nun in deutlichen Worten auf eine Modernisierung des Islam. Und befasst sich mit einem heiklen Thema, das derzeit viele umtreibt: Antisemitismus unter Muslimen.
Seit zweieinhalb Jahren leitet Kaddor das Projekt „Empowerment statt Antisemitismus“ in Dinslaken nahe Duisburg. Es richtet sich vor allem an muslimische Jugendliche. Als es 2016 losging, waren antisemitische Einstellungen unter Muslimen noch nicht so sehr im öffentlichen Fokus. Das ist jetzt anders. Mehrere judenfeindliche Attacken haben für Bestürzung gesorgt — zuletzt die Gürtel-Attacke eines syrischen Flüchtlings auf einen Israeli mit jüdischer Kippa.
„Es gibt keine Studie dazu, wie weit verbreitet der Antisemitismus unter Jugendlichen ist, die Muslime sind oder zur Gruppe der Geflüchteten gehören“, sagt Kaddor. Fakt sei zwar, dass sich das Phänomen mit der Zuwanderung verstärke. Aber: „Ich warne davor, den Antisemitismus in unserem Land vornehmlich als muslimisches Phänomen zu verstehen.“
Als Islamlehrerin hörte Kaddor immer wieder auf dem Schulhof „Du Jude“ oder „Ich hasse Juden“. Dahingesagte Sprüche, die „eine menschenverachtende Einstellung“ zeigen, wie die Bestsellerautorin schreibt. Sie habe mit den Schülern diskutiert, Synagogen besucht. Doch die antisemitischen Klischees seien „stark verwurzelt und verbreitet“. So kam die Idee des Präventionsprojekts, das vom Bundesamt für Migration (BAMF) noch bis Ende 2018 finanziert wird.
„Alle verfügbaren empirischen Studien zeigen, dass antisemitische Einstellungen unter Muslimen in Europa deutlich weiter verbreitet sind als in der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft“, schildert Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. „Es gibt leider auch Antisemitismus unter Flüchtlingen, so wie es den gesamtgesellschaftlich gibt“, bestätigt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. Jede Rassismus-Form sei „Sünde im Islam“. Man dürfe Muslime und Juden jetzt nicht gegeneinander ausspielen. Der Zentralrat sei ebenfalls gefordert, besuche daher mit Flüchtlingen KZ-Gedenkstätten, organisiere Begegnungen.
Kaddor sieht alle gesellschaftlichen Akteure in der Pflicht, auch Kirchen und Moscheeverbände. Und sie verlangt in ihrem neuen Buch nachdrücklich Reformen für den Islam. Sie kritisiert Geschlechtertrennung in Moscheen, kritisiert, dass vielen Frauen die gleichen Rechte vorenthalten werden. Das Kopftuch hält Kaddor für obsolet — die Debatte ermüdend. „Heute mag ich nicht mehr darüber diskutieren, was Frauen auf dem Kopf statt im Kopf haben“, schreibt sie. „Wenn der Islam sich nicht ändert, dann werden wir uns immer weiter von ihm entfernen. Wir werden immer weniger von ihm verstehen und ihn irgendwann vergessen.“
Kaddor ist oft vorgeprescht, war die Erste: An der Uni Münster war sie früh für die Ausbildung der allerersten deutschen Islamlehrer mitverantwortlich. Den Koran hat sie in kindgerechte deutsche Sprache übersetzt — eine Premiere. Für den Islamunterricht hat sie mit einem Team eine erste Schulbuchreihe herausgebracht. Als Lehrerin hörte sie aber 2016 auf, weil das Risiko nach Drohungen zu groß wurde. Ihre Bücher über radikalisierte salafistische Jugendliche oder Fremdenfeindlichkeit hatten nicht allen gefallen.
Und was hat es nun mit der Bratwurst auf sich? Antwort: Klein-Lamya hatte auf einem Kindergartenfest aus Versehen mal Schweinefleisch gegessen. Großer Schock für ein kleines Mädchen. Aber kein Desaster. Interessant: Ihre Kinder hat die gläubige Muslimin in eine jüdische Kita geschickt, in der Schule nehmen sie aktuell am christlichen Religionsunterricht teil.