Interview Islamunterricht in NRW: Grünen-Politiker Volker Beck fordert Aufklärung

Münster. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und der sogenannte „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“, hinter dem vor allem die türkisch-islamistische Organisation Millî Görüs steht, klagen am Donnerstag vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen das Land Nordrhein-Westfalen: Statt des in NRW 2012 eingeführten (und bis 2019 befristeten) Islamunterrichts verlangen sie das Recht, eigenen islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen einführen zu dürfen.

Grünen-Politiker Volker Beck spricht im Interview über den Streit um den Islam-Unterricht im Land Nordrhein-Westfalen.

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Ob die Abwehr gelingt, hängt nach Ansicht des Grünen-Politikers Volker Beck vor allem davon ab, ob dem Land der Nachweis gelingt, dass es sich bei den Verbänden nicht um Religionsgemeinschaften handelt. Mit Beck, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag als Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Uni Bochum unterrichtet, sprach WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel.

Herr Beck, wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten der beiden Verbände ein?

Volker Beck: Das hängt davon ab, ob die Landesregierung mit Beweisanträgen das Gericht dazu bringt, sich die Antragsteller genau anzuschauen und das, was Zweifel an ihren Eigenschaften als Religionsgemeinschaften weckt. Das ist einmal das Thema der Auslandsbeziehungen mit der Frage, welche Staaten oder politische Parteien diese Vereine politisch lenken, zum anderen muss die Landesregierung die Verbände damit konfrontieren, dass sie mit ihrer Kooperation im NRW-Modell des Islam-Unterrichts faktisch akzeptiert haben, keine Religionsgemeinschaften zu sein. Allerdings hört man aus dem Gericht, am Donnerstag solle schon ein Urteil verkündet werden. Das lässt befürchten, dass es gar nicht zu einer Beweisaufnahme über die neueren politischen Entwicklungen in der Verbändelandschaft kommt. Das wäre fatal und spräche für eine nachlässige Behandlung des Verfahrens durch die Landesregierung.

Muss sich das Land unabhängig des Ausgangs nicht fragen, ob die Zusammenarbeit mit Islam-Verbänden überhaupt lohnt, die per Gericht einen Unterricht abschaffen wollen, an dessen Ausgestaltung sie selbst mitgewirkt haben?

Beck: Man sollte nicht eingeschnappt sein, aber man darf sich schon wundern, dass diese Akteure, die mit einem am Tisch sitzen, nicht die Kooperation mit dem Land suchen, sondern das Land aus der Mitwirkung am Religionsunterricht herausdrängen wollen. Und das, obwohl das Land ja auf die muslimischen Gemeinschaften zugegangen ist, um ein Äquivalent zum Religionsunterricht der anderen Konfessionen anbieten zu können.

Hat das Festhalten an der Klage möglicherweise auch Ursachen im Binnenverhältnis der Verbände? Es drängt sich zusehends der Verdacht auf, dass vor allem der Zentralrat an der türkischen Ditib vorbeiziehen möchte, seit sich das deutsch-türkische Verhältnis verschlechtert hat.

Beck: Die Verfahren gehen ja auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2005 zurück, die Auseinandersetzung gibt es seit Ende der 90er Jahre. Es ist wichtig, dass da jetzt alles auf den Tisch kommt: Was wissen die Verfassungsschutzämter über die Verbände, was die Wissenschaft? Man sieht ja auch bei Millî Görüs einen Wandel in Form einer stärkeren Annäherung an den türkischen Staat, andere Organisationen sind mit Öffentlichkeitsmaßnahmen unter Anleitung der türkischen Botschaft und des Generalkonsulats unterwegs. Manche Experten schließen daraus, dass die türkischen Gemeinschaften den Kampf um die Anerkennung als Religionsgemeinschaft eigentlich aufgegeben haben, weil sie sich so offensichtlich für türkische Regierungspolitik hergeben.

Der Zentralrat propagiert einen Scharia-Islam, die islamistische Millî Görüs wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Ist es aus Ihrer Sicht denkbar, dass an deutschen Schulen ein Religionsunterricht geduldet werden müsste, den solche Verbände konzipieren?

Beck: Der Zentralrat selbst tritt nicht für die Scharia als weltliche Rechtsordnung ein, aber einzelne Organisationen, die er vertritt. Die Frage, wie loyal Religionsgemeinschaften zum Staat stehen müssen, hat das Bundesverfassungsgericht in der Zeugen-Jehova-Entscheidung beantwortet. Die Frage ist also: Welche Haltungen haben die Verbände und ihre Mitgliedsorganisationen zu den wesentlichen Verfassungsgrundsätzen Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und Grundrechte? Da bestehen angesichts des massiven ausländischen Einflusses, der nicht nur türkisch ist, beim Zentralrat zumindest bei einigen Akteuren und beim Islamrat insgesamt erhebliche Zweifel.