Halbzeitbilanz Kampf und Krampf – Merkel und die Generaldebatte im Bundestag

Berlin · Angela Merkel kommt in der Generaldebatte mühsam in Fahrt – dann aber richtig.

Angela Merkel während der Generaldebatte im Bundestag. Modisch passend gekleidet mit knallrotem Blazer und schwarzer Hose, wirbt die Kanzlerin für ein Weitermachen mit der großen Koalition.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Es dauert 20 Minuten, bis Angela Merkel endlich für Aufmerksamkeit sorgt. Im Parlament gibt es bereits lange Gesichter, immer mehr Abgeordnete tippen auf ihrem Handy herum. Die Kanzlerin hält eine Geschichtsstunde zur Nato. Viel Krampf. Doch dann legt Merkel den Hebel um – und zum Schluss appelliert sie sogar an die SPD: „Wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten, meine persönliche Meinung. Ich bin dabei!“ Olaf Scholz setzt auf der Regierungsbank sein breitestes Grinsen auf.

Sollte der Finanzminister das Rennen um den Parteivorsitz bei den Genossen machen, ist es wahrscheinlich, dass die SPD in der Groko verbleibt. Mit CDU-Frau Merkel vorneweg. Wenn nicht, dürfte das Bündnis wohl im Dezember zusammenkrachen. Eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen wären möglich. Merkels Kanzlerschaft könnte dann Geschichte sein. Also redet sie den Genossen nochmal ins Gewissen.

Klar, es gab die Mobilfunk-Klausur des Kabinetts, Merkel hat sich in die Debatte um den 5G-Ausbau und die Beteiligung des chinesischen Konzerns Huawei eingemischt, am nächsten Montag wird sie sich mit protestierenden Bauern treffen. Aber das alles ist Routine. Vielleicht hat sie die Ungewissheit über die Zukunft ihrer Koalition zusätzlich gelähmt. In den vergangenen Wochen, auch auf dem CDU-Parteitag in Leipzig, wirkte die Kanzlerin jedenfalls so, als sei sie nur noch auf dem Weg in den Ruhestand.

Der erste Teil der Rede atmet genau diesen lustlosen Geist. Obwohl im Bundestag die Generaldebatte aufgerufen wird, der wichtigste Schlagabtausch in der laufenden Haushaltswoche. All die, die Merkel bereits abgeschrieben haben, fühlen sich anfangs bestätigt. Doch ohne Kampf geht es dann doch nicht, wenn die Groko überleben soll. „Wir haben in den letzten 20 Monaten vieles auf den Weg gebracht“, ruft sie eher der SPD als den eigenen Leuten zu. Merkel listet die Halbzeitbilanz noch einmal auf. Sie verstehe nicht, dass immer so abfällig über einen ausgeglichenen Haushalt gesprochen werde. Wenn man in Zeiten niedriger Zinsen glaube, „man müsste auch noch Schulden machen, was will man eigentlich machen, wenn die Zinsen wieder normal sind. Wie viel Schulden will man dann machen?“ Oppositionspolitiker lachen, nennen das „ökonomischen Unsinn“. Endlich kommt Stimmung auf im Bundestag.

Die Kanzlerin wird auch energischer im Ton. Speziell beim Klimathema. Zwar stelle Deutschland nur ein Prozent der Weltbevölkerung und verursache zwei Prozent der CO2-Emmissionen. Dafür verfüge man aber über die besten Technologien. „Wer, wenn nicht wir, soll zeigen, dass es geht, dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen?“ Zuvor ist Merkel scharf vom AfD-Fraktionschef Alexander Gauland angegriffen worden. „Die deutsche Energiewende ist gescheitert“, so der Oppositionsführer. Das Klimathema sei inzwischen „ersatzreligiös“.

Die Kanzlerin, die AfD
und Kaiser Wilhelms Pferd

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gehe es auch „um den Zusammenhalt des Landes“, räumt Merkel ein. „Es wird nicht reichen, wenn die Menschen in der Stadt den Menschen auf dem Land erklären, wie das mit dem Windkraftausbau sein soll.“ Außerdem werde es in Zukunft eine völlig neue Mobilität geben. Zwischenrufe aus der AfD kontert die Regierungschefin mit einem Verweis auf deutsche Geschichte: „Schon Kaiser Wilhelm hat gesagt, dass das Pferd wieder zurückkommt, als er das erste Auto gesehen hat. Er hat sich geirrt. Auch sie werden sich irren.“

Merkel wird dann grundsätzlich. Es stimme nicht, dass man seine Meinung nicht mehr frei sagen könne. Nur müsse man dann auch damit leben, „dass es Widerspruch gibt. Es gibt keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif.“ Auch gebe es Grenzen. „Und die beginnen da, wo gehetzt wird, da, wo Hass verbreitet wird, die beginnen da, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird.“ Nur von der AfD erhält die Kanzlerin dafür keinen Applaus.

„Wir haben noch viel zu tun“, richtet sie sich schließlich wieder an die SPD. Am nächsten Samstag, um 18 Uhr, weiß auch Merkel, wohin die Reise für die Groko gehen könnte. Dann wird das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung über den Parteivorsitz verkündet.