CDU Seit Angela Merkel den Vorsitz abgegeben hat, fehlt der Partei die Orientierung
Düsseldorf · Seit Angela Merkel den Vorsitz der CDU abgegeben hat, fehlt der Partei die Orientierung. Annegret Kramp-Karrenbauer wirkt an der Spitze überfordert. Aber wann wagen sich die Möchtegern-Chefs aus der Deckung?
Das Elend der Christdemokraten begann vor gut einem Jahr. Damals kündigte Angela Merkel den Rückzug von der Spitze ihrer Partei an. Ein Tabubruch. Denn Kanzleramt und Parteivorsitz gehören in eine Hand – das hatte Merkel immer betont, und so sehen es auch ihre Kritiker.
Eigentlich sollte die Trennung auch nur von kurzer Dauer sein. Annegret Kramp-Karrenbauer (57), viele Jahre erfolgreiche Ministerpräsidentin im Saarland und seit Februar 2018 Generalsekretärin der CDU, war als ihre Nachfolgerin an der Parteispitze auserkoren. Und im nächsten Schritt auch als Kanzlerin.
In Hamburg legte Merz einen blutleeren Auftritt hin
AKK galt lange als enge Vertraute Merkels. In zentralen inhaltlichen Fragen schien kein Blatt zwischen die beiden zu passen. Dennoch sahen Merkels Widersacher in der Partei ihre Stunde gekommen. Friedrich Merz (64), früher Chef der Unionsfraktion im Bundestag und für viele die Verkörperung der alten CDU-Wirtschaftskompetenz, warf seinen Hut in den Ring; ebenso Jens Spahn (39), Hoffnungsträger der Erneuerer. Da Spahn der Mehrheit als zu jung erschien, lief es auf das Duell zwischen AKK und Merz hinaus. Showdown beim Parteitag Anfang Dezember 2018 in Hamburg.
Während Kramp-Karrenbauer eine kämpferische, inhaltlich starke Rede auf die Beine stellte, blieb Merz blass, fast blutleer. Merz hielt keine Rede, sondern einen Vortrag. Trotzdem wurde es knapp. AKK siegte mit 51,75 Prozent. Der Machtkampf schien entschieden. Aber er war und ist es bis heute nicht. Kramp-Karrenbauer konnte das Vakuum nicht füllen, das durch den Teilrückzug der Kanzlerin entstanden war. Im Umgang mit dem Youtuber Rezo, der die Partei im Netz heftig attackiert hatte, wirkte AKK völlig überfordert. Kurz darauf löste sie mit „Regeln“ für den digitalen Wahlkampf Kopfschütteln aus. Entgeisterung in der CDU und weit darüber hinaus.
In den Umfragen stürzte Kramp-Karrenbauer ab. Und die Unterstützung durch Merkel blieb aus. Dass die Kanzlerin immer noch zu AKK steht, muss bezweifelt werden. Fast sah es wie eine Demütigung aus, als Merkel die CDU-Vorsitzende, die seit Juli auch Bundesverteidigungsministerin ist, im September nicht im selben Flugzeug mit in die USA nehmen wollte.
Um in die Offensive zu kommen, preschte AKK mit Vorschlägen zur Militärpolitik nach vorne, die sie allerdings weder in der Partei noch in der Koalition abgestimmt hatte. Internationale Sicherheitszone in Nordsyrien? Eine größere Verantwortung für Deutschland und Europa bei internationalen Konflikten und der eigenen Verteidigung? AKK setzte wichtige Fragen auf die Agenda, versäumte es aber, zuvor Netzwerke für eine nachhaltige Debatte zu knüpfen. Ihre Denkanstöße drohen unterzugehen.
CDU-Protagonisten von früher melden sich verstärkt zu Wort. Vordergründig gilt ihre massive Kritik Merkel, aber sie treffen damit auch AKK. Merz nennt das Erscheinungsbild der Regierung „grottenschlecht“, unter Merkel habe sich ein „Nebelteppich“ über das Land gelegt. Roland Koch, einst CDU-Ministerpräsident in Hessen, wirft Merkel Führungslosigkeit vor. Und Norbert Röttgen, den Merkel 2012 als Umweltminister entließ, sieht in der Regierung einen „Totalausfall“.
Die Einigung bei der Grundrente verschärft den Streit in der CDU
Vieles spricht dafür, dass die Einigung bei der Grundrente den Streit in der CDU um den richtigen Kurs noch verschärft. Viele in der Partei sind es leid, Politik mit stark sozialdemokratischer Handschrift zu machen. Raus aus der Atomkraft, weg mit der Wehrpflicht, ja zum Mindestlohn, und jetzt noch eine Grundrente ohne echte Prüfung der Bedürftigkeit – eine starke Gruppe in der CDU fühlt sich von der SPD über den Tisch gezogen.
Wie Merkel steht AKK für diese Politik. Merz dagegen nicht. Gut möglich, dass es beim Parteitag in knapp zwei Wochen in Leipzig zur offenen Konfrontation kommt. Merz will eine programmatische Rede halten. Gut möglich, dass er sich mit einem betont konservativen Auftritt als Kanzlerkandidat der Union empfehlen will. Offiziell geht es in Leipzig weder um die K-Frage noch um den Parteivorsitz. Aber entscheidende Weichen könnten dennoch gestellt werden, weil Merkel und AKK schwach wie nie erscheinen.
Dass sich auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Jens Spahn schon jetzt in Stellung bringen, ist dagegen wenig wahrscheinlich. Beide liebäugeln zwar mit der Kanzlerschaft, aber sie sind – anders als Merz – in vielen Fragen mit ihren Antworten nah bei der Kanzlerin. Merkel-Bashing ist mit Laschet und Spahn nicht zu machen.