Regierungsbildung in Berlin Koalitionsverhandlungen von Union und SPD starten
Berlin (dpa) - Gut vier Monate nach der Bundestagswahl starten CDU, CSU und SPD an diesem Freitag unter hohem Erwartungsdruck in Koalitionsverhandlungen. SPD-Chef Martin Schulz sagte in Berlin, man wolle in den nächsten zwei Wochen zügig, aber ohne Hektik verhandeln.
Für eine stabile Regierung brauche es „Sorgfalt vor Schnelligkeit“. Nach der knappen Zustimmung eines SPD-Parteitages zu Verhandlungen zeichnen sich schwierige Gespräche unter anderem bei den Streitthemen Flüchtlinge, Gesundheit und Arbeitsmarkt ab.
Schulz äußerte sich nach mehrstündigen Beratungen der SPD-Spitze optimistisch. Die Verhandlungen würden so geführt, dass die Ergebnisse „so starke sozialdemokratische Akzente haben, dass wir mit gutem Gewissen vor unsere Parteimitglieder treten können“.
Am Freitag treffen sich um 9.00 Uhr zunächst Schulz, CDU-Chefin Angela Merkel und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer in der Berliner CDU-Zentrale. Dann kommt eine Runde von 15 Spitzenvertretern der drei Parteien zusammen, die als Steuerungsgremium dienen soll. Ihr gehören sechs Vertreter der SPD, fünf der CDU und vier der CSU an. Nach ersten Treffen der voraussichtlich insgesamt 18 Arbeitsgruppen auch über das Wochenende soll die 15er-Runde am Sonntagabend erneut tagen. Für Dienstag ist die erste Sitzung einer großen Runde vorgesehen, in der allein die SPD mit 35 Vertretern präsent sein soll.
Umstritten ist, wie schnell ein Abschluss gelingen kann. Die Union will mit den Verhandlungen bis Karneval fertig werden - die Hochphase des närrischen Treibens beginnt mit Weiberfastnacht am 8. Februar. Über einen Koalitionsvertrag sollen dann noch die mehr als 440 000 SPD-Mitglieder abstimmen. Dieser Prozess dauert nochmals drei Wochen. SPD-Bundesvize Manuela Schwesig sprach sich für zügige Gespräche aus, fügte aber hinzu: „Wir müssen uns auch die notwendige Zeit nehmen, damit am Ende etwas Gutes dabei heraus kommt.“
Der Widerstand gegen eine große Koalition ist in der SPD groß. Auf dem Parteitag in Bonn hatten sich die Sozialdemokraten am vergangenen Sonntag nur mit knapper Mehrheit zu Verhandlungen mit der Union durchgerungen. Außenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel soll für die Sozialdemokraten nun - anders als bei den Sondierungen - mitwirken. Auch andere geschäftsführende SPD-Minister sollen demnach die Führung von Arbeitsgruppen in den Verhandlungen übernehmen.
Die SPD geht mit drei Forderungen in die Gespräche, die über das Ergebnis der vorherigen Sondierungen hinausgehen: eine Einschränkung sachgrundloser Jobbefristungen, ein Einstieg in das Ende der Zwei-Klassen-Medizin - worunter die SPD das Ziel der Verschmelzung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung versteht - und eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus.
Die Union lehnt zwar grundlegende Änderungen an der gemeinsamen Sondierungsvereinbarung vom 12. Januar ab, vermeidet derzeit aber scharfe Töne. In der Gesundheitspolitik hatten Unionspolitiker bereits signalisiert, sich Änderungen bei Honoraren für Landärzte oder bei den Wartezeiten für Arzttermine vorstellen zu können. Allerdings lehnt vor allem die CSU Zugeständnisse beim Familiennachzug und sachgrundlosen Jobbefristungen ab.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte der dpa, neben der Angleichung der Arzthonorare sei auch eine Entbürokratisierung des Systems und eine bessere Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Arztpraxen wichtig. „Wir werden in den jetzt anstehenden Koalitionsverhandlungen bei Gesundheit viel erreichen müssen, weil wir sonst nicht durch das Mitgliedervotum kommen.“
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warf der SPD Scheinheiligkeit in der Debatte über sachgrundlos befristete Arbeitsverträge vor. Die SPD-Forderung nach einer Einschränkung sei „verlogen“, sagte er der dpa. „Denn gerade in SPD-geführten Bundesministerien ist die Anzahl befristeter Jobs in den vergangenen Jahren rasant gestiegen.“
In einer repräsentativen Welt-Emnid-Umfrage fordern 70 Prozent der Befragten, die Union solle der SPD beim Thema Gesundheitsversorgung entgegenkommen. 56 Prozent halten die Abschaffung befristeter Arbeitsverträge für ein Zugeständnis, das die Union der SPD machen könnte. Weitere Härtefallregelungen beim Familiennachzug finden 40 Prozent gut. Zehn Prozent meinen, CDU und CSU sollten der SPD am besten gar nicht weiter entgegenkommen - egal bei welchem Thema.
In der SPD-Führung bahnt sich unterdessen eine Diskussion darüber an, ob Schulz einen Posten im Kabinett übernehmen soll. „Das ist eine Frage, die wir auch beraten werden“, sagte der Bremer Regierungschef Carsten Sieling vor dem Treffen der Parteiführung auf eine entsprechende Frage. „Mir ist wichtig, dass die Partei stark und möglichst autonom ist. Das gilt sicherlich auch für den Vorsitzenden oder wäre sehr gut jedenfalls für ihn“, fügte er hinzu.