Kohl: „Noch ist es nicht zu spät in Europa“
Frankfurt/Main (dpa) - Europa muss nach dem Wunsch von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) wieder eine „Herzensangelegenheit“ der Menschen werden. „Wir brauchen wieder mehr europäischen Gemeinsinn“, sagt der 84-Jährige bei der Vorstellung seines neuen Buches „Aus Sorge um Europa“.
„Noch ist es nicht zu spät in Europa.“
Kohl, der von seiner Frau Maike Kohl-Richter begleitet wurde, sitzt seit einem Sturz vor sechseinhalb Jahren im Rollstuhl und kann nur sehr mühsam sprechen. Im rund 100 Seiten starken „Appell“ kritisiert Kohl Kleinstaaterei und das Aufkommen alter Ressentiments in Europa. Die politische Union in der EU müsse wieder auf die Tagesordnung.
Für die Schuldenkrise in Europa macht Kohl die rot-grüne Regierung unter seinem Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) verantwortlich, die Griechenland zu früh in die Eurozone aufgenommen und zusammen mit Frankreich den Euro-Stabilitätspakt verletzt habe. Dem Westen wirft er vor, Russland in der Ukraine-Krise zu stark isoliert zu haben.
In seiner Laudatio würdigte der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Altkanzler als „großen Europäer“. Als „Gegner des negativen Denkens“ habe Kohl stets auch die kleinen Länder geachtet, sagte der ehemalige Luxemburger Regierungschef, der seit vielen Jahren ein Weggefährte und enger Freund Kohl ist. „Zu wissen, was den anderen umtreibt, gehört zu seinem Rüstzeug.“
Kohls Frau betonte, dass ihr Mann trotz seines Unfalls geistig völlig fit sei. Am Zustandekommen des Buch habe sie mitgewirkt, machte sie deutlich. Kohl könne nicht mehr so diktieren wie früher. „Mein Mann hat das im Kopf. Ich gehe dann in die Archive und such' ihm raus, was er im Kopf hat. Dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor, dann redigiert er wie früher.“
Kohl-Richter wird von Kohls Söhnen und einigen seiner früheren Wegbegleiter vorgeworfen, sie schotte den Altkanzler ab. Manche sehen darin den Versuch der zweiten Ehefrau Kohls, die Deutungshoheit über dessen Wirken und politisches Vermächtnis zu erhalten.