Merkel macht Hartz-IV-Streit zur Chefsache
Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) macht die festgefahrenen Hartz-IV-Verhandlungen zur Chefsache. Sie will sich vor der offiziellen Gesprächsrunde am Dienstagabend mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Koalition treffen.
Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Montag in Berlin aus Koalitionskreisen. Gleichwohl gelten die Aussichten für eine Einigung noch in dieser Woche als gering.
In der fast zehnstündigen Nachtsitzung zum Montag hatten Koalition und Opposition wieder keinen Kompromiss gefunden. Hauptstreitpunkt ist weiter die Höhe des künftigen Hartz-IV-Regelsatzes. Keine Annäherung gab es auch bei der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit für Leihbeschäftigte. Die Regierungskoalition beharrt darauf, dass dies erst neun Monate nach Beschäftigungsbeginn gelten soll. Allerdings gibt es dabei deutliche Meinungsunterschiede im Koalitionslager.
Die Koalition bot an, der Bund könne die Kosten für die Grundsicherung armer Rentner komplett übernehmen und damit die Kommunen entlasten. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bezifferte die Entlastung auf zwölf Millionen Euro für vier Jahre. Damit soll die Opposition zur Zustimmung für das Hartz-Paket im Bundesrat gewonnen werden.
Um den Druck zu erhöhen, machte sie zugleich klar, dass dieses Angebot des Bundes befristet ist: „Dieses Fenster der Möglichkeit ist jetzt geöffnet. Es ist nicht dauerhaft geöffnet.“ Von der Leyen appellierte an die „Vernunft“ aller Beteiligten und warnte davor, die weiteren Verhandlungen nicht durch Maximalforderungen zu erschweren. SPD und Grüne sprachen von „Taschenspielertricks“. Das Geld sei den Kommunen längst anderweitig versprochen - unabhängig von der Hartz-Neuregelung.
SPD-Chef Sigmar Gabriel begrüßte das Eingreifen der Kanzlerin. Merkel müsse den Weg zu einer Verhandlungslösung öffnen. Die SPD sei unverändert zu einer tragfähigen Vereinbarung noch in dieser Woche bereit. „Wir werden aber keiner Lösung zustimmen, die auf eine Mogelpackung hinausläuft“, betonte Gabriel.
Auch die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, sieht die Kanzlerin gefordert, „endlich Ordnung in das Verhandlungswirrwarr der Koalition zu bringen“. Die Bundesregierung müsse die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat „anerkennen und einsehen, dass ihr Angebot nicht ausreicht“.
FDP-Chef Guido Westerwelle lehnte erneut eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze über fünf Euro hinaus ab. „Wir können nicht akzeptieren, dass über die Hartz-IV-Regelsätze politisch gewürfelt wird.“
SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig forderte dagegen, die Regelsätze für Langzeitarbeitslose „verfassungsfester“ zu machen. Alles andere würde dem Urteil des Verfassungsgerichtes widersprechen. SPD und Grüne wollen auf der Basis einer anderen Rechengrundlage den Regelsatz um 11 auf dann 370 Euro erhöhen. Zudem sagte sie: „Für Extra-Aufgaben wie das Bildungspaket brauchen die Kommunen auch eine Extra-Ausstattung.“
IG Metall-Chef Berthold Huber warf der Regierungskoalition Klientelpolitik vor. „Über die Lobby-Partei FDP versuchen die Profiteure der Leiharbeit, die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche, ihre Interessen durchzusetzen.“ Es gehe ihnen „nicht um die Menschen, auch nicht um betriebliche Flexibiliät, sondern nur um Lohndumping und Tarifflucht“, sagte Huber der dpa. DGB-Chef Michael Sommer nannte das „eine unsoziale Provokation“.
Die Diakonie erinnerte daran, dass das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung bereits bis Januar 2011 verlangt hatte. VdK-Präsidentin Ulrike Mascher sagte: „Eine Lösung für die Hartz-IV-Reform ist mehr als überfällig.“ Linken-Chef Klaus Ernst rief die Betroffenen auf, über die Sozialgerichte einen verfassungsgemäßen Regelsatz zu erstreiten.