Merkel rechnet nicht mit rascher Fiskalpakt-Einigung
Berlin (dpa) - Der Poker um den europäischen Fiskalpakt steuert auf eine Entscheidung in letzter Minute zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet bei dem Spitzentreffen mit den Partei- und Fraktionsspitzen an diesem Mittwoch nicht mehr mit einer endgültigen Einigung.
Zwar komme man bei den Verhandlungen gut voran, sagte die CDU-Chefin am Dienstag in der Unionsfraktion. Es dürften aber keine falschen Erwartungen geweckt werden: „Wir sind mitten in der Arbeit.“ In der Opposition wird schon über eine Sondersitzung des Bundestages Anfang Juli spekuliert.
Hauptstreitpunkt zwischen Koalition und Opposition bleibt die verbindliche Einführung einer Steuer auf alle Finanzgeschäfte. Ein Treffen beider Seiten war am Montagabend ohne Ergebnis geblieben. Am Dienstagabend wollten Vertreter von Koalition und Opposition erneut beraten. Der Zeitplan ist extrem knapp. Die Regierung dringt darauf, den Fiskalpakt gemeinsam mit dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM bis Ende Juni zu billigen, um ein Signal an die Finanzmärkte zu senden. Der ESM tritt am 1. Juli in Kraft.
Der Zeitplan der Koalition dürfte nun aber nicht mehr zu halten sein. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bezeichnete es als nicht ausreichend, dass sich die Regierung verpflichtet habe, einen Zeitplan für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorzulegen und im Kabinett zu beschließen. Stattdessen müsse durch „weitere Konkretisierungen“ sichergestellt werden, dass etwa der Handel mit Derivaten einbezogen werde.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, eine Entscheidung könne es erst geben, wenn klar sei, wie mehr Mittel der Europäischen Investitionsbank zur Stimulierung des Wachstums fließen könnten. Dies werde aber erst nach dem EU-Gipfel Ende Juni deutlich. Angesichts des weiteren Verhandlungsbedarfs böten sich die ersten Julitage für eine mögliche Ratifizierung in Sondersitzungen des Bundestags an. Weil Fiskalpakt und ESM mit Zweidrittelmehrheit gebilligt werden müssen, ist die Regierung auf die Opposition angewiesen.
Union und FDP beschworen SPD und Grüne, dem Fiskalpakt rasch zuzustimmen. Beide müssten ihr parteipolitisches Taktieren endlich beenden, sagte FDP-Chef Philipp Rösler. „Die ganze Welt schaut auf Deutschland.“ Merkel warb auf einer CDU-Veranstaltung in Berlin eindringlich für Vertrauen in Europa und den Euro und erklärte die Stabilisierung Griechenlands dabei zur Wegmarke. „Wir stehen am Scheideweg“, mahnte die Kanzlerin.
Die Spitzen von Koalition und Opposition kommen am Mittwochmittag im Kanzleramt zusammen. Anschließend fliegen Steinmeier, SPD-Chef Sigmar Gabriel und der frühere Finanzminister Peer Steinbrück zu Gesprächen mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande nach Paris. Frankreich führt bereits zum 1. August eine noch von der alten Regierung beschlossene Finanztransaktionssteuer ein. Die neue sozialistische Führung will diese Regelung deutlich verschärfen.
Völlig ungewiss ist auch noch, ob der Bundesrat dem Fiskalpakt zustimmen wird. Eine Reihe von SPD-geführten Ländern, aber auch CDU-Ministerpräsidenten verlangen einen finanziellen Ausgleich für die zusätzlichen Sparanstrengungen, die Länder und Kommunen durch den Fiskalpakt schultern müssen.
Nach Angaben der SPD haben die Gespräche der Länder mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bislang keine Fortschritte gebracht. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) knüpfte seine Zustimmung daran, dass die Länder ihre Haushaltsautonomie behalten. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sagte tagesschau.de: „Es gibt kein Taktieren, aber wir lassen uns nicht an der Nase herumführen.“