Neuer Streit mit CSU in Sicht Merkel setzt sich über CDU-Beschluss zu Doppelpass hinweg
Essen/Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel riskiert in der Ausländerpolitik einen Konflikt mit dem konservativen Flügel ihrer CDU. Direkt nach einem Beschluss des Parteitags zur Aufkündigung des Kompromisses mit der SPD bei der doppelten Staatsbürgerschaft sperrte sie sich gegen dessen Umsetzung.
Damit bahnt sich auch neuer Streit mit der CSU an. Deren Generalsekretär Andreas Scheuer begrüßte das Doppelpass-Votum. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte empört regiert und von einem „schlimmen Beschluss“ des Koalitionspartners gesprochen.
Die Kanzlerin nutzte für ihre Absage an den Parteitagsbeschluss nicht ihr Schlusswort vor den Delegierten, sondern Fernseh-Interviews nach dem Ende des Treffens. Merkel sagte zur knappen Entscheidung bei der doppelten Staatsangehörigkeit: „Es wird in dieser Legislaturperiode keine Änderung geben.“ Sie halte den Beschluss persönlich für falsch. „Ich glaube auch nicht, dass wir einen Wahlkampf über den Doppelpass machen, wie wir das früher mal gemacht haben.“
Die Delegierten hatten zuvor nach heftiger Debatte mit knapper Mehrheit für einen Antrag der Jungen Union gestimmt, die sogenannte Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen. 319 Delegierte stimmten dafür, 300 dagegen. Dabei geht es hauptsächlich um Kinder türkischer Eltern.
Merkel wehrte sich in den Interviews auch gegen den Eindruck, die CDU habe beim Parteitag einen Rechtsschwenk vollzogen. „Nein, das glaube ich nicht“, sagte sie auf entsprechende Fragen. Sie widersprach auch der Einschätzung, das im Leitantrag aufgeführte Burka-Verbot sei eine gesetzliche Verschärfung.
Ihr vergleichsweise mageres Ergebnis bei ihrer Wiederwahl am Dienstag nannte Merkel einen „großen Vertrauensbeweis“. Nach den „turbulenten Monaten“ sei sie über das Resultat von 89,5 Prozent „eher angenehm überrascht“ gewesen, sagte die Kanzlerin, ohne den Streit über die Flüchtlingspolitik direkt anzusprechen. Die Vorsitzenden anderer Parteien wären froh, wenn sie ein Ergebnis um die 90 Prozent bekämen. Die CDU-Chefin hatte ihr zweitschlechtestes Ergebnis in fast 17 Jahren als Parteichefin und das schlechteste Ergebnis ihrer Kanzlerschaft erzielt.
Seit einer Vereinbarung der schwarz-roten Koalition im Dezember 2014 müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern nicht mehr im Alter von 18 bis 23 Jahren zwischen der deutschen und der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern entscheiden. Die CDU will das nach der aktuellen Beschlusslage nun wieder rückgängig machen.
Vizekanzler Gabriel erklärte in Berlin, Merkel habe sich ihr Wiederwahlergebnis „erkauft“, indem sie den innerparteilichen Gegnern ihrer Flüchtlingspolitik die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern geopfert habe. Merkel könne nicht knapp eine Million Flüchtlinge einladen „und sich dafür bejubeln lassen“, dann aber die hier geborenen Kinder schlecht behandeln. Die doppelte Staatsbürgerschaft sei im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD verankert. „Und solange sich die CDU-Fraktion an den Koalitionsvertrag hält, gibt's keine Probleme.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) versicherte vor den Delegierten: „Beschlüsse des Bundesparteitags werden natürlich in der Bundestagsfraktion ernst genommen.“ Die Union im Bund habe aber immer einen Koalitionspartner, mit dem sie über Beschlüsse sprechen müsse. Die Delegierten müssten Verständnis dafür haben, dass ein Parteitagsbeschluss nicht gleich Gesetzestext werden könne. Etwas anderes sei, Beschlüsse in einem Wahlprogramm zu verdeutlichen.
CDU-Vize Thomas Strobl sagte der dpa: „Ist doch in Ordnung, wenn die CDU eine klare Position hat. Sie ist nur mit keiner anderen demokratischen Partei umsetzbar.“
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte in der Debatte noch gemahnt, es sei nicht schön, einen Kompromiss wieder zu kippen. Er kenne auch keinen möglichen Koalitionspartner, mit dem die CDU das Votum gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen könnte. Außerdem werde den betroffenen jungen Menschen vor den Kopf gestoßen. Man wolle den Kompromiss „nicht rückabwickeln“.
Präsidiumsmitglied Jens Spahn rief nach de Maizières Auftritt aber unter Jubel von Delegierten, natürlich müsse man in einer Koalition Kompromisse machen, „aber wir sind hier auf einem Parteitag“. Es sei keine Zumutung, jungen Menschen eine bewusste Entscheidung abzuverlangen.