Koalitionsvertrag Michael Hüther: „Bei den befristeten Arbeitsverträgen hat die Union versagt“
Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, kritisiert geplante Regelungen zu befristeten Verträgen — sieht aber auch Positives.
Berlin. Die deutsche Wirtschaft lässt kaum ein gutes Haar an der Regierungsvereinbarung zwischen Union und SPD. Der Arbeitgeberverband BDA sieht gar einen „wirtschaftsfeindlichen roten Faden, der sich durch diesen Koalitionsvertrag zieht“. Ist das Klagelied berechtigt? Darüber sprach der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, mit unserer Zeitung.
Herr Hüther, wie viel Positives können Sie der Koalitionsvereinbarung abgewinnen?
Michael Hüther: Das Positive sind sicher die Kapitel über Innovation und Bildung. Man kann es nur begrüßen, dass die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt aufgestockt werden sollen. Auch das klare Bekenntnis zu Ceta, also dem Freihandelsabkommen mit Kanada, darf man nicht gering schätzen. Das hatten die Grünen bei den Jamaika-Verhandlungen noch blockiert. Das geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz muss man ebenfalls positiv vermerken. Von einem durchgängigen wirtschaftsfeindlichen roten Faden, wie es manche sehen, kann jedenfalls nicht die Rede sein.
Das heißt, die Kritik aus der Wirtschaft ist pure Schwarzmalerei?
Hüther: Es gibt sicher auch viele Kritikpunkte. Wenn zum Beispiel der Arbeitsmarkt weiter an Flexibilität verliert, obwohl diese Flexibilität erheblich zur hohen Beschäftigung in Deutschland beigetragen hat, dann schmerzt das natürlich die Wirtschaft. Vor allem in dem Moment, wenn die Konjunktur nicht mehr so robust ist wie jetzt, wird man es spüren.
Aber die Union verbucht es als Erfolg, dass befristete Arbeitsverträge weiter möglich sind. Die SPD wollte die sachgrundlose Befristung komplett abschaffen.
Hüther: Das ist doch kein Trost. Nach dem Koalitionsvertrag darf der Staat seine Privilegien bei der befristeten Anstellung von Mitarbeitern praktisch behalten. Aber in der Wirtschaft, wo es insgesamt weniger Befristungen gibt als im öffentlichen Dienst, aber die sachgrundlose Befristung anteilig eine größere Rolle spielt, werden die Daumenschrauben angezogen. Die sachgrundlose Beschäftigung wird so stark reglementiert, dass sie praktisch tot ist. Hier hat die Union absolut versagt.
Viele Beschäftigte werden es aber gern hören, dass sie sich nicht mehr von Befristung zu Befristung hangeln müssen.
Hüther: Der Effekt wird sein, dass viele Leute erst gar nicht eingestellt werden, weil den Betrieben das Risiko einer sofortigen Festanstellung zu hoch ist. Oder nehmen Sie ein Projekt, das nur drei oder fünf Jahre dauert. Da kann man doch keinen dafür unbefristet beschäftigen. Betriebe würden ihren Laden vor die Wand fahren. Also wird man dort künftig viel stärker überlegen, ob das Projekt wirklich notwendig ist.
Wie bewerten sie das geplante Recht auf befristete Teilzeit, um danach wieder in Vollzeit zu arbeiten?
Hüther: Gerade erst hat die Metallbranche vorgemacht, dass es längst genügend Spielräume gibt, um flexible Arbeitszeiten tarifvertraglich zu regeln. Der Eingriff des Staates ist da völlig überflüssig.
Manche würden gern wieder in Vollzeit wechseln, scheitern daran aber in ihrem Betrieb.
Hüther: Die allermeisten Beschäftigten in Teilzeit arbeiten gern verkürzt, nur etwa zwölf Prozent unfreiwillig. Aber daran wird sich auch nichts ändern. Denn diese Regelung soll ja nicht für alle Betriebe gelten.
Immerhin gibt es keine Steuererhöhung, und der Solidaritätszuschlag wird abgebaut. Das müsste doch die Wirtschaft freuen.
Hüther: Vom Abbau des Solis hat die Wirtschaft nichts. Denn geplant ist eine Freigrenze, die sich nur für Bezieher kleiner und mittlere Einkommen rechnet. Das ist schon perfide: Diejenigen, die besonders viel Solidaritätszuschlag bezahlt haben, müssen ihn noch weiter zahlen. Auch hier hat die Union eine völlige Bauchlandung hingelegt.