Zwischen Erneuerung und Rückbesinnung Nahles‘ Gegenkandidatin Simone Lange und die zwei Welten der SPD

Berlin. Gegensätzlicher könnten die Welten der SPD nicht sein. Lars Klingbeil, Generalsekretär, präsentiert am späten Montagnachmittag in der Berliner City das „Erneuerungskonzept“ des Vorstandes.

Simone Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg, stellt sich als Kandidatin für den SPD-Bundesvorsitz bei der Niedersachsen-SPD vor.

Foto: Peter Steffen

Er steht im „Basecamp“, einem angesagten Veranstaltungsraum, Headset auf dem Kopf. Sein Vortrag ist durchsetzt mit Begriffen wie „Debattencamps“ und „Best-Practice-Konferenzen“. Simone Lange sitzt am gleichen Abend im dunklen, mit Eichenholz getäfelten Ratssaal des Bezirksrathauses von Berlin-Pankow. Vor ihr 60 SPD-Parteimitglieder, gemischtes Alter. Simone Lange will SPD-Vorsitzende werden. Gegen das Establishment der Partei, gegen Andrea Nahles.

Am Vormittag hat Klingbeil die 41-jährige Oberbürgermeisterin von Flensburg angerufen. Er wollte zur Vorbereitung des Wiesbadener Bundesparteitages übernächstes Wochenende mit ihr über die Dauer der beiden Kandidatenreden sprechen. Zehn Minuten für jeden, lautete sein Vorschlag. „Das ist nicht euer Ernst“, hat Lange geantwortet. Sie erzählt das bereitwillig. Denn sie gibt den Partei-David, der die Goliaths im Willy-Brandt-Haus herausfordert. Sie will länger reden. Anfangs kannte sie überregional niemand. Inzwischen unterstützen 80 Ortsvereine ihre Bewerbung.

Die gebürtige Thüringerin, die einmal zwölf Jahre als Kripobeamtin gearbeitet hat, ist derzeit auf Werbetour in eigener Sache. 16 Städte hat sie hinter, vier noch vor sich. Ihre beiden Töchter im Teeniealter sind in Berlin dabei, „die Betreuung war nicht anders zu organisieren“. Sie sitzen ganz vorne, drehen mit den Fingern in den Haaren und daddeln am Handy. Keine Sekunde lang lässt Lange Zweifel zu, dass sie sich den Parteivorsitz zutraut. Ihr Rathaus habe 600 Mitarbeiter, das Willy-Brandt-Haus nur 200, sagt sie, und die Leute lachen. Lange wirkt fröhlich, ihre feine Stimme ist stets zurückhaltend und zugewandt. Aber ihre Botschaft ist knallhart. Es gebe, erklärt sie, „eine gefühlte Entfremdung zwischen Basis und Bundesvorstand“. Sie fordert Mitgliederentscheide für den Parteivorsitz und die Trennung von Amt und Mandat. Und vor allem: Die Reformen der Agenda 2010 müssten korrigiert werden. „Wir sind vor 15 Jahren falsch abgebogen, wir haben auf dem Rücken vieler Menschen die Stabilität Deutschlands gebaut, wir müssen zurück.“

Mit nichts trifft sie den Nerv der 60 Genossen mehr als mit diesen Sätzen. Hier sitzen die von der eigenen Partei Enttäuschten. Einer, Mitglied seit zehn Jahren, sagt gar, die SPD habe „großes Leid“ über die Menschen gebracht. Eine ruft: „Für mich ist die SPD nicht mehr wählbar, weil ich betroffen bin von Hartz IV“. Eine andere Frau, wie mehrere der Teilnehmer erst im Zuge der „No-GroKo“-Kampagne der Jusos eingetreten, irritiert zunächst mit dem Satz, es könne nicht sein, dass die AFD die einzige Partei sei, die gegen einen ungehemmten Zuzug von Flüchtlingen eintrete. Und erhält dann Zustimmung, also sie sagt, dass sie „als Basismitglied schreien“ könne, weil Außenminister Heiko Maas dem Anti-Russland-Kurs der USA und Großbritanniens folge.

Lange lässt das alles nicht nur laufen, sie bestärkt es noch. „Wir müssen nicht nur über versteckte Armut reden, sondern auch über versteckten Reichtum“, betont sie. Und weiter: „Es geht auch um Umverteilung, an der Stelle müssen wir wieder mutig sein.“ Eine ältere Frau, die sich zuvor beklagt hat, dass ihre Rente nur 100 Euro über Hartz IV liegt, ruft dazwischen: „Das ist ja das Schlimme, dass die SPD das die ganze Zeit nicht gesagt hat.“ Lange beruhigt sie: „Künftig machen wir das aber wieder.“ Auch das Thema Russland greift sie auf: „Wir als Partei müssen wieder eine starke Rolle spielen und einem wie Maas sagen, wie Entspannungspolitik geht.“ Dafür gibt es Beifall.

Im „Basecamp“ bei Klingbeil dürfen derweil zehn Parteiinitiativen in jeweils fünf Minuten kurzen „Pitches“ (Präsentationen) ihr Ideen vortragen. Die Gruppen nennen sich „Disrupt SPD“ oder „SPD plusplus“ und haben fast alle schicke Internetauftritte. Man hat den Eindruck, dass die Basis regelrecht aufblüht, seit die Erneuerung ausgerufen wurde. Was die Initiativen wollen, ist so weit von Langes Vorstellungen nicht weg, es läuft ebenfalls auf mehr Beteiligung und offenere Debatten hinaus. Im Pankower Rathaus aber sagt einer, dass das alles doch bloß wieder eine Erneuerung von oben sei. Als ein anderer fordert, man müsse mehr Frauen für die Partei gewinnen, ruft die ältere Dame mit der Minirente dazwischen: „Ja, aber eine muss rausfliegen: Nahles!“