Regierung dringt auf mehr Kompetenz bei Netzausbau
Berlin (dpa) - Nach Zugeständnissen an die Länder dringt der Bund beim Atomausstieg nun auf mehr Kompetenzen im Netzausbau. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagte im Deutschlandradio Kultur, eine Neuregelung der Verantwortung für die Stromnetze ermögliche eine raschere Planung.
„Und deswegen wird es künftig einen Bundesnetzplan geben, wie es auch schon einen Bundesverkehrswegeplan gibt, eben auf Bundesebene.“
Nach den Worten Röslers will der Bund die bisherigen Bau- und Planungszeiten von zehn auf vier Jahre verkürzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) argumentierte zurückhaltender. Um Atomausstieg und schwarz-gelbe Energiewende hinzubekommen, müsse das Netz schneller als bisher ausgebaut werden, erläuterte sie in ihrem am Samstag veröffentlichten Video-Podcast im Internet.
Merkel argumentierte: „Es geht um den Strom der Zukunft. Wo kommt der her? Und wie kommt er genau dorthin, wo er gebraucht wird? Dafür ist es vor allen Dingen notwendig, mehr für den Netzausbau zu tun. Denn die Windenergie wird eine zentrale Bedeutung haben. Und somit muss sehr viel Strom von Nord nach Süd transportiert werden.“ Deshalb solle das Netzausbaugesetz verändert werden, um etwa einen schnelleren Bau neuer Überlandleitungen zu ermöglichen.
Die Bundesländer signalisierten am Vortag Vorbehalte gegen eine Kompetenzverlagerung beim Netzausbau auf den Bund. Indessen ging Merkel beim Treffen mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt unter anderem auf deren Forderung ein, bis 2021/2022 in mehreren Stufen aus der Kernenergie auszusteigen. Über die dauerhafte Stilllegung der acht nach dem Fukushima-GAU vorübergehend abgeschalteten AKW hinaus wurden jetzt die Jahre 2015, 2017, 2019 und 2021 sowie 2022 vereinbart.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin argumentierte, Merkel habe einen stufenweisen Atomausstieg akzeptieren müssen. Zudem sei der Druck der Länder insofern erfolgreich gewesen, als Windenergie an Land nicht schlechter gestellt werden solle als vor der Küste (Offshore). „Ob das geänderte Paket einen breiten Konsens finden kann, kommt auf die Details der endgültigen Gesetzesentwürfe an“, sagte Trittin weiter. Grünen-Chef Cem Özdemir äußerte sich in der „Welt am Sonntag“ ähnlich. Er fügte hinzu: „Ein gesellschaftsübergreifender Konsens beim Atomausstieg wäre gerade für unsere Wirtschaft wichtig, um verlässliche Rahmenbedingungen zu haben.“
Die Gesetzentwürfe will das Kabinett an diesem Montag verabschieden und damit auf den parlamentarischen Weg bringen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte nach dem Treffen Merkels mit den Ministerpräsidenten: „Ich sehe die Chance für einen Energiekonsens.“ Grüne und auch SPD wollen schneller als 2022 aussteigen. Die Kanzlerin lehnt dies ab. „Wenn wir jetzt von heute auf morgen aus der Kernenergie aussteigen würden, dann wäre die Folge, dass wir unseren eigenen Strombedarf nicht mehr decken können, und dass wir mit Sicherheit Strom aus Atomkraftwerken aus Ländern um uns herum beziehen“, sagte Merkel auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden.
Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Horst Seehofer, sieht keinen Grund, sich um die Stromversorgung in Deutschland zu sorgen. „Voraussetzung für den erfolgreichen Ausstieg ist jedoch eine Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Die Opposition strebt einen Öko-Anteil von 40 Prozent an, Schwarz-Gelb von 35 Prozent.
Nach Röslers Worten muss Energie trotz Atomausstieg bezahlbar bleiben. Die Bürger müssten mit zusätzlichen 35 bis 40 Euro im Jahr rechnen, wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet würden, sagte er. Merkel, die bei den Bürgern für die schwarz-gelbe Energiewende wirbt, erläuterte, die heute geltende Umlage im Erneuerbare-Energien-Gesetz von etwa 3,5 Cent pro Kilowattstunde solle nicht wesentlich erhöht werden. Die Bundesregierung wolle den Weg der Energiewende „gemeinsam mit den Ländern und mit möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern gehen“, betonte Merkel.
SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber bekräftigte in „Handelsblatt Online“ die Forderung aus seiner Partei, den Atomausstieg im Grundgesetz festzuschreiben. „Nach all den Tricksereien der Konzerne und auch von Merkel selbst muss der Atomausstieg unumkehrbar gemacht werden - zum Beispiel durch einen Staatsvertrag oder eine Grundgesetzänderung.“ Ähnlich argumentierte die Linke. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer (CDU) sowie der Vorsitzende der Ethik-Kommission, Klaus Töpfer lehnen dies ab.