Interview Reiner Holznagel: „Ab Januar läuft die Schuldenuhr rückwärts“

Steuerzahlerpräsident Holznagel mahnt weitere Sparanstrengungen an. Es drohe die Gefahr einer Zinswende.

Foto: holznagel

Berlin. Um 58,4 Milliarden Euro oder 2,9 Prozent sind die Gesamtschulden des Staates, also von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen, im letzten Jahr zurückgegangen — auf immer noch 1,973 Billionen Euro. Bei Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, kommt trotzdem kein Jubel auf. Und die berühmte Schuldenuhr des Verbandes läuft vorerst weiter aufwärts. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff fragte nach den Gründen.

Ist der Schuldenrückgang eine gute Nachricht für Sie?

Reiner Holznagel: Ja, selbstverständlich. Aber man darf noch lange nicht Entwarnung geben. Der Rückgang der Verschuldung ist nicht auf eine aktive Politik zurückzuführen, sondern auf das Wirtschaftswachstum, die Steuermehreinnahmen und niedrige Zinsen.

Sie sehen also keine strukturelle Besserung?

Reiner Holznagel: In den Ländern gab es auch Beispiele einer echten Schuldentilgung. Im Bund ist der Rückgang der Schulden nur durch die niedrigen Zinsen gelungen. Kein Bundeshaushalt hat bisher eine aktive Schuldentilgung vorgesehen.

Warum sollte er auch, wenn der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt durch die wachsende Wirtschaft automatisch sinkt? Demnächst unter 60 Prozent, das ist das Maastricht-Kriterium.

Reiner Holznagel: Umgekehrt muss man sagen: Wir erreichen das Maastricht-Kriterium ausschließlich aufgrund des guten Wachstums. Das ist alles andere als eine ambitionierte Haushaltspolitik. Hier nimmt man schlicht und einfach die gute Situation mit und lässt sich feiern. Nur: Sobald es eine Zinswende gibt, haben der Bundesfinanzminister und seine Länderkollegen ein echtes Problem. 1,93 Billionen Euro sind eine wahnsinnige Summe. Schon jetzt beträgt die Zinslast im Bundeshaushalt jedes Jahr fast 20 Milliarden Euro.

Was sind Ihre Erwartungen an die Sondierer von Union und SPD?

Reiner Holznagel: Die sprudelnden Steuerquellen dürfen auf gar keinen Fall zu einem euphorischen Zustand führen. Notwendig sind Steuerentlastungen, auch der Abbau des Solidaritätszuschlages. Zweitens müssen die Haushalte weiter konsolidiert werden. Dafür sind auch Sparmaßnahmen notwendig, denn es gibt wachsende Lasten, etwa die Zuweisungen an die Kommunen oder die Rücklagen für die Beamten. Eine Koalition muss auch in guten Zeiten die Kraft aufbringen, Subventionen abzubauen. Gerade in den guten Zeiten. Und drittens muss auch der Bund endlich aktiv Schulden tilgen.

Die Schuldenuhr an Ihrem Berliner Verbandssitz und auf Ihrer Website geht falsch. Sie dreht sich um 58 Euro pro Sekunde nach oben.

Reiner Holznagel: Sie geht nicht falsch. Sie spiegelt die geltende politische Realität ab. Wir haben die in den Landeshaushalten für dieses Jahr bereits erteilten Kreditermächtigungen berücksichtigt. Zwar werden nicht alle Länder davon auch Gebrauch machen, aber noch ist das Jahr ja nicht zu Ende. Zum 1. Januar werden wir die Schuldenuhr allerdings umstellen. Sie wird dann rückwärts laufen.

Eine Schuldenuhr, die rückwärts läuft, taugt nicht viel als Protestinstrument.

Reiner Holznagel: Man kann das auch andersherum sehen. Stellen Sie sich vor, die neue Regierung oder mehrere Bundesländer fangen wieder mit neuen Schulden an, und wir müssen unsere Uhr dann doch wieder hochlaufen lassen. Das gibt dann einen richtigen Aufschrei. Die rückwärtslaufende Uhr baut Druck auf, bei einer sparsamen Haushaltspolitik zu bleiben.