Rot-Grün gewinnt in Niedersachsen
Hannover (dpa) - Schmerzhafte Niederlage für Schwarz-Gelb zum Auftakt des Bundestagswahljahres: Trotz eines FDP-Rekordergebnisses ist die Koalition von CDU-Ministerpräsident David McAllister in Niedersachsen abgewählt.
Nach einer stundenlangen Zitterpartie mit unklaren Mehrheitsverhältnissen zog Rot-Grün am Sonntag auf den letzten Metern an der seit 2003 regierenden Koalition vorbei. Neuer Ministerpräsident mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag wird nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis der bisherige hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil. Seinen Erfolg verdankt er historisch starken Grünen.
Damit macht Rot-Grün acht Monate vor der Bundestagswahl eine Kampfansage an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Schwarz-Gelb in Berlin. Der in der Kritik stehende SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erhält neuen Auftrieb. Dem angeschlagenen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler verschaffte das beste Niedersachsen-Ergebnis seiner Partei - fast 10 Prozent - deutlich Luft.
Niedersachsen erlebte einen beispiellos spannenden Wahlabend. Stundenlang sah es in den Hochrechnungen von ARD und ZDF nach einem Patt oder einem knappen Sieg von Schwarz-Gelb aus. Die CDU fuhr aufgrund einer massiven FDP-Zweitstimmenkampagne eines ihrer schlechtesten Ergebnisse ein, blieb aber stärkste Partei. Die SPD legte leicht zu. Die Linke flog aus dem Landtag, auch die Piraten scheiterten klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung stieg leicht auf 59,4 Prozent.
Von einem Sieg in Niedersachsen hatten sich alle Parteien Rückenwind für die Bundestagswahl im Herbst erwartet. Die Abstimmung im zweitgrößten Flächenland mit 6,1 Millionen Wahlberechtigten gilt als wichtiger Stimmungstest. Vor dem Bundestag wird nur noch in Bayern ein neuer Landtag gewählt.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis verlor die CDU 6,5 Punkte, blieb aber mit 36,0 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der SPD, die auf 32,6 Prozent (plus 2,3) kam. Die Grünen erzielten 13,7 Prozent (plus 5,7), die FDP erreichte 9,9 (plus 1,7) und die Linke 3,1 Prozent (minus 4,0). Mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ergibt sich folgende Sitzverteilung: CDU: 54; SPD: 49; Grüne: 20; FDP: 14. Das bedeutet eine Ein-Stimmen-Mehrheit im neuen Landtag für Rot-Grün mit 69 zu 68 Mandaten.
Weil (54) erklärte, er werde auch mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag regieren. McAllister (42) beanspruchte die Regierungsbildung für sich und kündigte an: „Wenn es nicht reicht für eine Fortsetzung des Bündnisses von CDU und FDP, würden wir als stärkste Kraft mit allen politischen Parteien Gespräche führen. Natürlich auch mit der SPD.“ Der CDU-Politiker hatte die Landesregierung 2010 nach der Wahl seines Vorgängers Christian Wulff zum Bundespräsidenten übernommen.
Die FDP mit Umweltminister Stefan Birkner an der Spitze, der das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde drohte, hatte im Wahlkampf massiv um Zweitstimmen von CDU-Wählern geworben - laut Forschungsgruppe Wahlen mit Erfolg. Diese sprach von einem „Last-Minute-Transfer im schwarz-gelben Lager“: 80 Prozent der aktuellen FDP-Wähler wählten eigentlich CDU. Am Ende verteidigte die FDP nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen den dritten Landtag in Folge.
Das sei auch ein Erfolg Röslers, sagte Generalsekretär Patrick Döring. Er sei der richtige Vorsitzende. Schleswig-Holsteins Fraktionschef Wolfgang Kubicki, bislang einer der schärfsten Kritiker Röslers, betonte, nach dem „glorreichen Sieg“ könne die FDP-Spitze in Harmonie über die Aufstellung für die Bundestagswahl im Herbst sprechen. Rösler sagte: „Das Rennen hat jetzt erst angefangen. Die Freien Demokraten werden jetzt loslegen.“ Fraktionschef Rainer Brüderle versicherte: „Diesen Schwung aus Niedersachsen werden wir für die Wahlen in Bayern und im Bund nutzen.“
Die Niedersachsen-SPD litt unter fehlendem Rückenwind aus Berlin, wo Steinbrück seit Wochen wegen seiner Nebenverdienste und Äußerungen zum Kanzlergehalt in der Kritik steht und in den Umfragen abgestürzt ist. Laut Forschungsgruppe Wahlen machten der Landespartei „Bundestrend und Kanzlerkandidat zu schaffen“. Steinbrück räumte ein, dass es aus Berlin keine Unterstützung für Hannover gegeben habe. „Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage.“ Gleichwohl stärkte Parteichef Sigmar Gabriel ihm den Rücken: „Was wären wir für ein jämmerlicher Haufen, wenn wir gleich den Kandidaten auswechseln würden, wenn der Wind mal von vorne kommt.“
Die Grünen fuhren zwar ihr mit Abstand bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Niedersachsen ein. Trotzdem müssen sie im Herbst wegen der bundesweiten Schwäche der SPD weiter um ihren bevorzugten Koalitionspartner bangen. Parteichefin Claudia Roth zog gleichwohl aus Niedersachsen den Schluss, „dass ein Wechsel möglich ist“. Fraktionschef Jürgen Trittin sah eine klare Botschaft für den Herbst: „Wenn uns das bei der Bundestagswahl gelingt, genau so viel dazu zu gewinnen, und die anderen so viel verlieren, dann war es das mit Schwarz-Gelb.“
Für die Linkspartei setzte sich die Serie von schweren Verlusten in Westdeutschland fort. Im vergangenen Jahr verpasste sie den Wiedereinzug in die Landtage von Schleswig-Holstein (2,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (2,5 Prozent). 2011 war die Linke schon in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erfolglos geblieben. Stark ist sie damit nur noch in Ostdeutschland und im Saarland. Linke-Chef Bernd Riexinger räumte ein: „Es gibt nichts zu beschönigen, das Ergebnis ist für uns schmerzhaft.“
Für die Piratenpartei war Niedersachsen mit 2,1 Prozent der erste schwere Dämpfer nach einer Erfolgsserie. Diese brachte die junge Partei in die Landesparlamente Berlins, des Saarlands, Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens. In Niedersachsen lagen sie im Mai vergangenen Jahres in Umfragen auch noch bei 8 Prozent.
Bei der Landtagswahl 2008 war die CDU trotz herber Verluste mit 42,5 Prozent stärkste Partei geworden. Auch die SPD verlor und kam auf 30,3 Prozent. Die FDP holte 8,2, die Grünen 8,0 und die Linke 7,1 Prozent. Auf die CDU entfielen 68 Sitze im Landtag, auf die SPD 48. Die FDP errang 13 Mandate, die Grünen 12 und die Linke 11. Zuletzt hatte die CDU 69 und die SPD 46 Mandate, es gab einen fraktionslosen Abgeordneten.