Schredder-Affäre weitet sich aus

Berlin (dpa) - Die Affäre um Aktenvernichtung beim Bundesamt für Verfassungsschutz weitet sich aus. Auch dem Innenministerium wird nun vorgeworfen, noch nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle das Schreddern von Unterlagen zum Rechtsextremismus angeordnet zu haben.

In dem bereits vor Wochen aufgedeckten ersten Fall der Aktenlöschung geht der Neonazi-Untersuchungsausschuss des Bundestags von Vorsatz aus. „Heute ist nachdrücklich klar geworden: Es gab eine Vertuschungsaktion“, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Donnerstag nach einer Sondersitzung des Gremiums zu dem Thema. Der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff sprach von „Sodom und Gomorrha“ im Umgang mit Akten beim Verfassungsschutz.

Das Bundesinnenministerium hat inzwischen einen Stopp aller routinemäßigen Schredder-Aktionen im Bereich Rechtsextremismus verfügt - acht Monate nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Ein entsprechender Erlass erging an diesem Mittwoch. Am selben Tag war bekanntgeworden, dass das Innenministerium am 14. November 2011 die Vernichtung von insgesamt 126 Anlagen zu Abhörprotokollen aus allen Extremismusbereichen angeordnet hatte - sechs davon stammen aus dem Bereich Rechtsextremismus. Eine solche Löschung ist gesetzlich vorgeschrieben. Den Ausschussmitgliedern stößt aber die zeitliche Nähe zum Auffliegen der NSU wenige Tage vorher auf.

Die Grünen vermuten, dass auch diese Akten Bezug zum NSU haben. Das Innenministerium bestreitet das. „Diese Verknüpfung ist falsch“, sagte der vom Innenministerium eingesetzte Sonderermittler, Hans-Georg Engelke, der dem Ausschuss am Donnerstag berichtete. Die Grünen-Mitglieder des Gremiums bezweifeln die Darstellung. „Es gibt natürlich inhaltliche Bezüge, es gibt wohl auch personelle Bezüge“, sagte der Abgeordnete Wolfgang Wieland. Sein Fraktionskollege Hans-Christian-Ströbele mutmaßte, dass die Abhörprotokolle einen Bekannten des NSU-Mitglieds Beate Zschäpe betreffen könnten.

Nach Informationen der „Stuttgarter Nachrichten“ (Freitag) ließ das Ministerium nicht nur im November, sondern auch im Dezember Akten vernichten, in denen es um Erkenntnisse des Verfassungsschutzes aus dem Bereich Rechtsextremismus ging. Es handele sich in beiden Monaten um 23 Ordner. Auch im April (4 Ordner) und im Mai (1 Ordner) seien Akten vernichtet worden - unklar sei derzeit noch, ob darunter auch Material etwa aus dem Bereich linker und islamischer Extremismus gewesen sei.

Wegen der bereits länger bekannten Schredder-Aktion vom 11. und wahrscheinlich 13. November 2011 laufen gegen drei Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz disziplinarrechtliche Ermittlungen. Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm hat deswegen um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 31. Juli gebeten. An Zufall oder Schlamperei glaubt man dabei im Ausschuss nicht mehr. „Da geht auch das Innenministerium davon aus, dass das absichtlich und planvoll geschah“, sagte Wieland. Er fügte aber hinzu: „Der Nebel, welches Motiv dahinter stand, hat sich heute leider in keiner Weise gelichtet.“

Auch der Unions-Obmann Clemens Binninger meinte, es könne sich wohl kaum um Zufall oder Versehen handeln. „Ich bin fassungslos, wie die Sicherheitsbehörden mit den Akten umgehen und umgegangen sind“, sagte der FDP-Obmann Wolff. Ähnlich äußerte sich die Obfrau der Linken, Petra Pau. SPD-Frau Eva Högl sprach von einem Skandal.

Während das Bundeskriminalamt bereits im Februar die Aktenvernichtung einstellte, verfügte das Innenministerium erst am Mittwoch (18.7.) für den Verfassungsschutz, dass keinerlei personenbezogene Daten mehr gelöscht werden oder im Reißwolf landen. Für Abhörprotokolle von Telefongesprächen und Anlagen dazu galt eine entsprechende Regelung nach dpa-Informationen schon seit Anfang Juli.