Seehofer zweifelt am Netzausbau

Bayerns Ministerpräsident hält Südtrassen für überflüssig.

Foto: Julian Stratenschulte

Berlin/München. Wegen des Kernenergie-Fortfalls und des Aufbaus großer Windkraftkapazitäten im Norden soll und muss das deutsche Stromleitungsnetz neu organisiert werden. Geregelt wird das im „Bundesbedarfsplan“, den Bundestag und -rat im Frühjahr 2013 verabschiedeten.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bringt nun jedoch alles ins Wanken. Kurz vor dem Koalitionsgipfel am Dienstagabend im Kanzleramt mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte der Bayer, die geplante, 450 Kilometer lange Hochspannungsleitung von Halle (Sachsen-Anhalt) nach Meitingen in Bayern sei überflüssig. „Wir brauchen sie nicht“ — weil in Bayern Atomkraftwerke abgeschaltet würden, könne man derzeit noch von Atomstrom belegte Leitungen nutzen.

Schon vor einem Monat hatte Seehofer auch die zweite im Bedarfsplan vorgesehene große Leitungstrasse nach Bayern — „Suedlink“ — in Frage gestellt. Man müsse erst einmal prüfen, ob sich durch die geplante Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes die Berechnungsgrundlagen änderten.

De facto nimmt er damit den Netzausbauplan in seiner Substanz aufs Korn, denn die beiden Projekte sind die mit Abstand wichtigsten von insgesamt acht neuen Fernleitungsvorhaben.

SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil wundert sich. Vor kurzem habe Seehofer den Bedarf für die Trassen nur überprüfen wollen, sagte er auf Anfrage. „Wenige Tage später kennt er allein schon das Ergebnis. Ich weiß nicht mehr, was Seehofer in seinem nervösen Verhalten treibt. Energiepolitische Vernunft sieht anders aus.“

Seehofers Äußerungen lösten am Dienstag heftiges Kopfschütteln in der Fachwelt aus. So sagte der Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur, Stephan Kohler, unserer Zeitung, die Fernleitungen würden gebraucht, denn irgendwie müsse Windstrom aus dem Norden nach Süden kommen. Das Leitungsnetz in Bayern könne das nicht ersetzen.

Seehofer forderte außerdem eine verbindliche Zusage für den Bau konventioneller Gaskraftwerke im Freistaat. Eines möchte Bayern am Standort des bald schließenden Atomkraftwerks Grafenrheinfeld errichten. Gaskraftwerke rentieren sich jedoch nur, wenn ein sogenannter Kapazitätsmarkt geschaffen wird, also die Betreiber schon für das Bereithalten einer Erzeugungskapazität Geld bekommen — und zwar aus einer neuen Stromumlage. Es sei möglich, wurde in Koalitionskreisen spekuliert, dass Seehofer die Stromtrassen nur als Faustpfand für dieses Ziel verwende.