Düsseldorf So bringt man Nazis zurück in die Spur

Düsseldorf · Felix Medenbach ist Berater beim Aussteigerprogramm „Spurwechsel“ für Rechtsextremisten. Bis zu sieben Jahre begleitet er seine Klienten.

Chance zum Ausstieg aus der Szene: Seit 2001 versucht das Landesprogramm „Spurwechsel“, Rechtsradikale zur Umkehr zu bewegen.

Foto: dpa/Caroline Seidel

. Die vier sehr jungen Männer hatten alle eine Affinität zu Gewalt. Und sie waren stramm ausländerfeindlich. Es musste wohl irgendwann so kommen wie an jenem Tag vor einigen Jahren, als das Quartett in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen auf drei Migranten losging und sie brutal zusammenschlug. Die Neonazis landeten vor dem Richter und um ein Haar in Haft. Stattdessen bekamen sie Bewährung mit der Auflage, am Aussteigerprogramm „Spurwechsel“ für Rechtsextremisten teilzunehmen. „Sie sind inzwischen alle ausgestiegen und dauerhaft stabilisiert“, sagt Ausstiegsbegleiter Felix Medenbach. So wie rund 190 weitere Teilnehmer seit Start des Programms 2001.

Im Grunde klingt das Setting von „Spurwechsel“ wie eine Anleitung, es falsch zu machen: Angesiedelt ist das Programm im Innenministerium direkt beim Verfassungsschutz – und damit bei einer staatlichen Institution, der die Zielgruppe größtmögliche Skepsis entgegenbringt. „Wir sind ein hochschwelliges Programm“, weiß auch Medenbach, der selbst einen nachrichtendienstlichen Hintergrund mitbringt.

Staatliches Programm verspricht bestmöglichen Schutz

Der Vorteil sei, dass die „Spurwechsel“-Ausstiegsbegleiter auf eine breite Informationsbasis des Verfassungsschutzes über die Szene zurückgreifen können – andersherum sind die Inhalte aus den Gesprächen mit den Aussteigern streng vertraulich. Die Erfahrung zeige zudem, dass viele Personen sich sogar bewusst an das staatliche Programm wenden, weil sie sich dort bestmögliche Unterstützung und Schutz erhoffen. „Dabei muss niemand Sorge haben, dass er ausgehorcht wird“, verdeutlicht Medenbach.

Er arbeitet seit über 15 Jahren mit Extremismus-Aussteigern und hat viel gelernt über die Psyche der Neonazis. Vor allem darüber, dass eigentlich jeder Neonazi werden kann. „Es gibt kein Gen für Rechtsextremismus. Fremdenfeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft fest verankert“, glaubt er. Sie sei zwar meist nicht ideologisch aufgeladen und mit Gewaltakzeptanz gepaart – aber vorhanden. Ein entscheidendes Kriterium hätten dann alle Extremisten gemeinsam: „Es sind immer Suchende.“ Das gelte für die ganz Gescheiten, die Anführertypen, wie für die Mitläufer. Sie hätten stets ein Gefühl der Benachteiligung; bei vielen jungen Menschen kämen familiäre Brüche hinzu.

Auf dem Land nur wenige Anbieter von Aktivitäten

Felix Medenbach entscheidet in seiner Arbeit zwischen primär und sekundär Radikalisierten. Für die zweite Gruppe stehe die Gemeinschaft, das Erlebnis im Vordergrund. Gerade in ländlichen Gebieten gehörten lose Nazigruppierungen mitunter zu den wenigen, die so etwas wie Freizeitaktivitäten organisierten. Und dann adaptierten die Jugendlichen die Denke eben, um dazuzugehören. Oder sie bringen ohnehin schon ein hohes Gewaltpotenzial mit und finden in der Gesinnung endlich eine Berechtigung zu prügeln. Wissen über die NS-Zeit sei in dieser Gruppe kaum vorhanden, Antisemitismus auch nur am Rande – hauptsächlich verbünde man sich gegen Ausländer aus den Maghreb-Staaten und die „linken Zecken“.

Die primär Radikalisierten hingegen sind jene, die sich im Kampf für eine edle Sache wähnen. Medenbach hatte bereits hochrangige Führungsfiguren mit Parteikarrieren in der Begleitung. „Da sitzt richtiges Wissen hinter, ein geschlossenes Weltbild, ideologische Tiefe. Mit so jemandem muss man ganz anders reden.“ Zumal diese Menschen sich eingestehen müssen, einen Großteil ihres Lebens im Ringen um die falschen Ziele vergeudet zu haben.

Es ist dieses Leben, das es für Medenbach und dessen Kollegen zu stabilisieren gilt – nicht nur die politischen Überzeugungen. Ansonsten sei die Rückfallgefahr zu groß. „Distanzierung durch Integration“ nennt der Ausstiegsbegleiter das Konzept. Er hilft bei der Suche nach einer Wohnung, einer Lehrstelle, einem Job. „Viele brauchen Unterstützung bei Arztbesuchen oder Behördengängen, weil sie Angst haben, nicht zu verstehen, was die ihnen erklären“, verdeutlicht er. 50 Prozent der „Spurwechsel“-Arbeit sei Beziehungsarbeit. Ein wesentlicher Teil umfasse aber auch die kritische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen.

Ein Rezept, wie die Abkehr von der Szene gelingt, gebe es nicht. Mit einem jungen Mann habe er anderthalb Jahre Sitzung um Sitzung gehabt – auch er war vom Gericht zur Teilnahme verdonnert worden. Doch der blieb stur bei seiner Weltsicht. Und dann, schildert Medenbach, sei er einmal in das Zimmer des Klienten gekommen und alle Poster, alle Devotionalien seien verschwunden gewesen. „Es ist ein sehr langer Prozess.“

Die Angst, von der Vergangenheit eingeholt zu werden

Erschwert wird er oftmals durch die Gruppierung um den Aussteiger, die ihn nicht gehen lassen will – mitunter sogar bedroht. „Dann müssen wir für Schutz sorgen“, erklärt Medenbach. Im Extremfall werde die Stadt über Nacht gewechselt und er sorge dafür, dass es eine Auskunftssperre gibt, damit die alten „Freunde“ nicht an die neue Adresse gelangen. Schwer bleibt der Prozess für die Aussteiger dauerhaft. „Die Gesellschaft geht mit Rechtsextremisten sehr radikal um und verzeiht nicht“, hat der Begleiter erlebt. „Viele haben zu Recht Angst, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden.“ Auch deshalb bleibt er lange mit seinen Klienten in Kontakt, in der Regel drei bis fünf Jahre, in manchen Fällen auch länger.

Im Ursprung war das Aussteigerprogramm allein auf freiwillige Teilnahme angelegt. Was für die Menschen Anstoß ist, ihre Spur wechseln zu wollen, sei unterschiedlich, sagt Medenbach: Bei den einen sei es die Heirat und die Geburt des Kindes, bei anderen Enttäuschung über Kameraden, bei wieder anderen eine ernüchternde Bestandsaufnahme, wohin sie ihr bisheriges Leben geführt hat. Doch selbst wenn es inzwischen auch viele „Spurwechsel“-Teilnehmer wider Willen gibt: „Wir sind bei weit über 90 Prozent Erfolgsquote.“ Er selbst habe in anderthalb Jahrzehnten sogar nur eine niedrige einstellige Zahl von jungen Menschen verloren.

Trotzdem weiß Felix Medenbach, dass er ein Stück weit gegen Windmühlen kämpft. Es werde immer Jugendliche geben, die in den Rechtsextremismus nachwachsen. Heute nur mehr abseits der öffentlichen Wahrnehmung. „Die Szene hat sich gewandelt“, sagt der Experte. Typische Kleidung und typisches Auftreten gebe es kaum noch. Durch die Verbote von Kameradschaften in der Vergangenheit sind die Strukturen informeller und lockerer geworden. Aber es gibt sie noch. Und zum Teil sehr massiv.